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Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe

Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe

Titel: Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe
Autoren: Martin Clauß
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gab keine Fackeln, keine Laternen. Nur einige Sterne und eine schwache Mondsichel erhellten das Land.
    Darren erschrak nicht, als er den Mann erkannte, der neben ihm kauerte. Es war nicht Cassel. Umso besser.
    Der Medizinmann musterte ihn. An seinen Händen klebten Erdkrumen, und seine Kleidung war schmutzig. Von seinen üblichen Begleitern gab es keine Spur. Sie waren entweder bereits erkrankt oder im Dorf unabkömmlich geworden. Das Oberhaupt des Stammes war alleine gekommen, hatte sich aus eigener Kraft in das frische Grab gewühlt und den vorzeitig Bestatteten befreit. Der Medizinmann war nicht auf den Humbug hereingefallen.
    Darren hatte nicht erwartet, ausgerechnet von ihm gerettet zu werden, und doch – jetzt, wo genau das geschehen war, fühlte es sich vollkommen vernünftig an. Der Medizinmann musste begriffen haben: Wenn ihnen jemand helfen konnte, dann nur der stille, nachdenkliche Fremde, der Rich Stone Valley kaum verließ. In seinen Augen mochte nicht gerade menschliche Wärme im Übermaß schimmern, doch dafür Intelligenz und Integrität, zwei Eigenschaften, die dem Indianer wertvoll erschienen.
    Darren erhob sich und blickte auf den Sarg hinunter, der in zwei Metern Tiefe steckte, mehr als zur Hälfte von Erde bedeckt. Die lieben Einwohner von Rich Stone Valley hatten keine Mühen gescheut, um das Grab zur tödlichen Falle zu machen.
    Die beiden gingen ein Stück bis zu einer stimmungsvollen Stelle, die von einem kleinen Hain abgeschirmt wurde. Dort setzten sie sich auf Steine rund um eine freie Fläche aus plattgetretener Erde, vielleicht ein Tanzplatz der Indianer, einen halben Kilometer abseits vom Dorf.
    Der Medizinmann wartete ohne ein Wort, ohne eine Geste. Als Darren ihm ungeschickt zu danken versuchte, wehrte er ab, starrte ihn mit messerscharfen Blicken an und drückte ihm einen dünnen Stock in die Hand. Darren begann einige Skizzen in die Erde zu ritzen, zunächst zögernd. Ein großer Zeichner war er nie gewesen. Er zeichnete Menschen, an deren Leibern kleine Lebewesen saßen. Die Viren stellte er wie winzige Insekten dar. Mittels der Skizzen beschrieb er die Übertragungswege der Krankheit.
    Als er fertig war, wartete der Medizinmann lange geduldig. Und? , schienen seine Augen zu fragen. Ich weiß jetzt, wie die bösen Geister von Mensch zu Mensch reisen, aber wie vertreibe ich sie aus den Körpern derer, in die sie schon eingedrungen sind? Wie rette ich meine Enkeltochter?
    Darren senkte den Kopf. Schnell wurden seine Augen feucht, und er wischte sich die ungewohnten Tränen ab.
    Der Medizinmann atmete hörbar ein und aus. Die Botschaft der Hoffnungslosigkeit war bei ihm angekommen.
    Darren wollte sich erheben, doch der Indianer bedeutete ihm, noch sitzenzubleiben. Er nahm den Lederbeutel von seiner Brust, öffnete ihn nur ein klein wenig und streute einen winzigen Teil von seinem Inhalt auf seine eigene Handfläche. Dann wartete er, bis Darren ebenfalls seine Hand vor ihm ausstreckte, und gab auch ihm etwas davon. Es schien sich um kleine Brocken eines getrockneten Krauts zu handeln, ein grobes Pulver.
    Der Indianer hob die Hand mit den Krümeln an seine Nase und atmete sie ein wie Schnupftabak. Darren tat es ihm gleich. Beinahe schwerelos schwebten die Partikel empor, und wie von einer sanften Brise getragen trieben sie in seine Nasenlöcher. Er musste nicht einatmen – sie fanden ihren Weg von alleine.

7
    Ein Mensch wurde zu einer Spinne. Der Faden strömte nur so aus der Öffnung in seinem Hinterleib. Aus Spinnensicht war es gar kein Faden, sondern ein dicker Strang, fettig und ölig, voller Spannung und Klebkraft. Es war eine Lust, ihn herausschießen zu spüren, und es schien eine Kleinigkeit zu sein, die ganze Welt damit zu fesseln.
    Zusätzliche Arme wuchsen dem Wesen seitlich aus dem Rumpf, Arme, die nicht in Händen, sondern in kammartigen Klauen ausliefen. Die Metamorphose selbst war von ungewöhnlicher Art. Keineswegs war es ein körperliches Drücken und Verformen. Nein, über den Menschen legten sich in pulsierenden Wellenbewegungen dreidimensionale Bilder von Spinnen, und je mehr Macht die Bilder gewannen, umso dünner, flüchtiger wurde die Konsistenz der menschlichen Attribute. Finger entwickelten sich nicht zurück, sie wurden einfach von neuen Realitätslagen überdeckt, bis Gottes Auge selbst durch ein Mikroskop keine Spur mehr von ihnen entdeckt hätte. Die Verformung ging auf erschreckend unkörperliche Weise vonstatten. Reine Information wirkte auf das
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