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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter
Autoren: Mika Waltari
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Straßenecke, wenn nicht gute Menschen mir zuweilen getrockneten Fisch und Bier brächten, damit ich ihren Kindern die Wahrheit über den Krieg erzähle. Ich bin Inteb, der große Held, doch sieh mich an, mein Junge! Meine Jugend ist in der Wüste zurückgeblieben, von Hunger, Beschwerden und Entbehrungen geraubt. Dort schmolz das Fleisch mir von den Gliedern, dort wurde meine Haut gegerbt, mein Herz zu Stein. Und, was das schlimmste ist, in den wasserlosen Wüsten vertrocknete meine Zunge, und seitdem bin ich von einem steten Durst geplagt, wie jeder Soldat, der von den Feldzügen durch ferne Länder lebend wiederkehrt. Deshalb vegetiere ich wie im Tal des Todes, seit ich meinen Arm verloren habe. Ich will nicht von den Wundschmerzen sprechen noch von den Qualen, die mir die Feldscherer verursachten, als sie meinen Armstummel in kochendem Öl sengten, nachdem sie mir den Arm abgeschnitten hatten. Gesegnet sei dein Name, Senmut, du Rechtschaffener und Guter, doch der Wein ist zu Ende!«
    Der Alte schwieg, keuchte eine Weile, setzte sich zu Boden und kehrte traurig das Lehmgefäß um. Wilde Glut brannte in seinen Augen, und er war wieder ein unglücklicher alter Mann.
    »Aber ein Krieger braucht nicht schreiben zu können«, getraute ich mich ängstlich zu flüstern.
    »Hm«, knurrte Inteb und schielte nach meinem Vater. Mein Vater nahm noch einen Kupferring vom Arm und reichte ihn dem Alten. Dieser rief mit lauter Stimme, und sofort kam ein schmutziger Knabe gelaufen, nahm den Ring und das Gefäß und begab sich zur Schenke, um wieder Wein zu kaufen.
    »Nimm nicht vom besten!« rief Inteb dem Jungen nach. »Du kannst auch sauren nehmen, von dem bekommt man mehr!« Wieder betrachtete er mich nachdenklich. »Du hast recht«, sagte er, »ein Krieger braucht nicht des Schreibens kundig zu sein, er muß nur kämpfen können. Wenn er schreiben könnte, wäre er ein Heerführer, der selbst über den tapfersten Krieger zu befehlen hätte und die anderen vor sich in den Kampf treiben könnte. Denn jeder, der schreiben kann, wird tauglich befunden, Soldaten anzuführen, doch wer keine Krähenfüße auf Papyri kritzeln kann, darf keine hundert Mann befehligen. Welche Freude hat man an goldenen Ketten und Ehrenzeichen, solange ein anderer mit einer Rohrfeder den Befehl zu führen hat? Doch es ist so, und es wird auch so bleiben. Wenn du, Junge, also Soldaten zu befehligen und anzuführen wünschest, dann lerne erst schreiben. Dann werden sich die Goldkettenträger vor dir verbeugen, und Sklaven werden dich in einer Sänfte auf das Schlachtfeld tragen.«
    Der schmutzige Knabe kehrte mit einem Krug Wein und dem gefüllten Gefäß zurück. Über das Gesicht des Greises huschte ein Freudenschimmer.
    »Dein Vater Senmut ist ein guter Mensch«, sprach er freundlich. »Er kann schreiben, und er hat mich in den Tagen meines Glückes und meiner Kraft, da es mir an Wein nicht fehlte, gepflegt, als ich Krokodile und Flußpferde zu sehen begann. Er ist ein guter Mann, wenn er auch nur ein Arzt ist und keinen Bogen spannen kann. Ihm sei Dank!«
    Erschrocken betrachtete ich den Weinkrug, über den Inteb sich offenbar hermachen wollte, und begann ungeduldig an dem weiten, arzneibefleckten Ärmel meines Vaters zu zupfen, denn ich fürchtete, der Wein könnte bewirken, daß wir bald zerschlagen an einer Straßenecke erwachen würden. Auch mein Vater betrachtete den Weinkrug, seufzte leise und führte mich fort. Inteb hub an, mit seiner schrillen Greisenstimme ein syrisches Lied zu singen, und der nackte, braungebrannte Straßenjunge lachte.
    Ich, Sinuhe, begrub meinen Kriegertraum und sträubte mich nicht mehr, als mein Vater und meine Mutter mich am folgenden Tag zur Schule brachten.

    4

    Mein Vater besaß natürlich nicht genügend Mittel, um mich eine der großen Tempelschulen besuchen zu lassen, wo die Söhne – und bisweilen auch die Töchter – der Vornehmen, der Reichen und der höheren Priester unterrichtet wurden. Mein Lehrer wurde der alte Priester Oneh, der einige Straßenecken weiter wohnte und auf einer verfallenen Veranda Schule hielt. Seine Schüler waren Kinder von Handwerkern, Kaufleuten, Hafenaufsehern und Unteroffizieren, die in ihrem Ehrgeiz für ihre Söhne die Laufbahn eines Schreibers erhofften. Oneh war vordem Lagerbuchhalter im Tempel der »himmlischen Mut« gewesen und daher wohl befähigt, den ersten Schreibunterricht an Kinder zu erteilen, die später einmal Warengewichte, Getreidemengen, Rinderzahlen oder
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