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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter
Autoren: Mika Waltari
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den geringsten kriegerischen Ehrgeiz zeigte.
    Während meiner Schulzeit geschah mit mir ein Wunder. Es geschah so plötzlich, daß ich mich an jenen Augenblick erinnere wie an eine Offenbarung. Es war an einem kühlen, schönen Frühlingstag, Die Vögel zwitscherten in der Luft, und die Störche bauten ihre alten Nester auf den Dächern der Lehmhütten um. Das Wasser war zurückgegangen, und die Erde leuchtete in sattem Grün. In den Gärten wurden Samen ausgestreut und Pflanzen gesetzt. Es war ein Tag für ausgelassene Abenteuer, und wir konnten uns unmöglich ruhig verhalten auf der verfallenen Veranda Onehs, deren ungebrannte Ziegelwände zerbröckelten, sobald man daran klopfte. Ich saß und schrieb zerstreut die ewigen Schriftzeichen und Buchstaben, die in Stein gemeißelt werden, und daneben die Abkürzungszeichen für die Papyrusschrift. Da plötzlich stieg ein schon vergessenes Wort Onehs in meinen Gedanken auf, in meinem Innern regte sich etwas Seltsames, und eine Stimme machte mir die Buchstaben lebendig. Aus dem Bild entstand ein Wort, aus dem Wort eine Silbe, aus der Silbe ein Buchstabe. Indem ich Bild an Bild reihte, entstanden neue Wörter, lebendige, seltsame Wörter, die nichts mehr mit den ursprünglichen Bildern zu tun hatten. Ein Bild versteht sogar der einfachste Ackerbewässerer, aber zwei Bilder nebeneinander kann nur ein des Schreibens Kundiger verstehen. Ich glaube, jeder, der die Schreibkunst studiert und lesen gelernt hat, weiß, welches Erlebnis ich andeute. Dieses Erlebnis war für mich ein Abenteuer, spannender und verlockender als das Erobern eines Granatapfels aus dem Korb eines Obsthändlers, süßer als eine getrocknete Dattel, herrlich wie Wasser für einen Dürstenden.
    Von jener Stunde an brauchte man mich nicht mehr zu ermahnen. Von jener Stunde an sog ich Onehs Lehren auf, wie trockenes Erdreich die Fluten des Nils aufsaugt. Ich lernte rasch schreiben. Allmählich lernte ich auch das lesen, was andere geschrieben hatten. Im dritten Jahr durfte ich bereits verschlissene Papyrusrollen zusammenbuchstabieren und als Vorleser walten, während die anderen lehrreiche Fabeln niederschrieben.
    Zu jener Zeit bemerkte ich auch, daß ich nicht wie die anderen war. Mein Gesicht war schmäler, meine Haut heller, und meine Glieder waren schlanker als die der stämmigen Knaben. Ich ähnelte mehr den Kindern der Vornehmen als den Menschen, in deren Mitte ich wohnte, und in vornehmer Kleidung hätte mich niemand von den Knaben unterscheiden können, die in Sänften getragen oder von Sklaven auf den Straßen begleitet wurden. Dieser Umstand erregte Spott. Der Sohn des Getreidehändlers wollte den Arm um meinen Hals schlingen und nannte mich ein Mädchen, so daß ich ihn mit dem Griffel stechen mußte. Seine Nähe war mir zuwider, denn er hatte einen üblen Geruch. Thotmes’ Gesellschaft hingegen suchte ich, doch er berührte mich nie mit seiner Hand.
    Einst fragte Thotmes schüchtern: »Willst du mir Modell sitzen, so mache ich ein Bild von dir?«
    Ich führte ihn zu mir nach Hause, und auf dem Hof unter der Sykomore formte er aus Lehm ein Bild, das mir ähnlich sah, und ritzte mit dem Stift meinen Namen in Buchstaben ein. Meine Mutter Kipa brachte uns Kuchen, doch beim Anblick des Bildes erschrak sie tief und nannte das Zauberei. Mein Vater aber sagte, daß Thotmes ein königlicher Künstler werden könnte, falls er Zutritt zur Tempelschule erhielte. Ich verbeugte mich im Scherz vor Thotmes und streckte die Hände in Kniehöhe vor ihm aus, wie man die Vornehmen grüßt. Seine Augen begannen zu leuchten, doch dann seufzte er und meinte, daß daraus nichts werden könne, weil nach seines Vaters Dafürhalten die Zeit für ihn gekommen sei, da er in das Haus der Krieger zurückkehren und um Eintritt in die Unteroffiziersschule der Streitwagenkräfte nachsuchen solle. Seine Schreibkenntnisse genügten bereits für einen künftigen Heerführer. Mein Vater entfernte sich, und wir hörten Kipa noch lange in der Küche vor sich hinmurmeln, aber Thotmes und ich aßen von den Kuchen, die fett und schmackhaft waren, und wir genossen das Dasein.
    Damals war ich noch glücklich.

    5

    Dann kam der Tag, an dem mein Vater sein bestes, frischgewaschenes Gewand anzog und um den Hals einen breiten, von Kipa bestickten Kragen legte. Er ging zum großen Ammontempel, obgleich sein Herz im stillen die Priester nicht leiden konnte. Doch ohne Hilfe und Einmischung der Priester geschah, wie überhaupt in Ägypten, so auch
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