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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter
Autoren: Mika Waltari
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Straßenecken, und ihre Frauen gaben sich für den Preis eines Kupferringes den bemalten Negern, damit sie Brot für ihre Kinder kaufen konnten.
    Vor meinen Augen hat sich also nichts Neues zugetragen, und was sich früher ereignete, das wird auch in der Zukunft geschehen. So wie der Mensch sich früher nicht änderte, so wird er es auch in der Zukunft nicht tun. Die, die nach mir kommen, werden gleich sein wie die, die vor mir lebten. Wie könnten sie also meine Weisheit verstehen, und warum sollte ich wünschen, daß sie meine Worte lesen?
    Doch ich, Sinuhe, schreibe dies meinetwegen, weil die Erkenntnis mein Herz wie Lauge zerfrißt und weil die Freude aus meinem Leben entflohen ist. Im dritten Jahr meiner Verbannung beginne ich dieses Buch zu schreiben, ich schreibe es an den Ufern des östlichen Meeres, von wo die Schiffe nach dem Lande Punt segeln, in der Nähe der Wüste, in der Nähe der Berge, wo die Könige früher die Steine für ihre Denkmäler brachen. Ich schreibe dies, weil der Wein bitter in meiner Kehle schmeckt. Ich schreibe dies, weil ich die Lust verloren habe, mich an Frauen zu ergötzen. Auch der Garten und der Teich mit seinen Fischen entzücken mein Auge nicht mehr. In den kalten Winternächten erwärmt wohl ein schwarzes Mädchen mein Bett, aber auch an ihr habe ich keine Freude mehr. Die Sänger habe ich aus meiner Nähe weggejagt, und die Töne der Streichinstrumente und Flöten quälen mein Ohr. Darum schreibe ich dies, ich, Sinuhe, der nichts mehr anzufangen weiß mit Reichtümern und goldenen Bechern, mit Myrrhe, Ebenholz und Elfenbein.
    Denn alles das besitze ich noch, und nichts ist mir genommen worden. Noch immer fürchten die Sklaven meinen Stock, und die Wächter beugen ihre Häupter und strecken die Hände in Kniehöhe vor. Aber meine Bewegungsfreiheit ist beschränkt, und kein Schiff kann in der Uferbrandung landen. Deshalb werde ich, Sinuhe, nie mehr den Duft der schwarzen Erde in einer Frühlingsnacht einatmen dürfen, und deshalb schreibe ich dies.
    Dennoch stand mein Name einst in des Pharao goldenem Buch, und ich wohnte in einem goldenen Haus zur Rechten des Königs. Meine Worte galten mehr als die der Mächtigen im Lande Kêmet. Die Vornehmen sandten mir Gaben, und goldene Ketten umschlangen meinen Hals. Ich besaß alles, was ein Mensch sich wünschen kann, aber als Mensch erwartete ich Unerreichbares. Deswegen bin ich hier, wo ich bin. Ich wurde im sechsten Regierungsjahr des Pharao Haremhab aus der Stadt Theben verbannt, und ich würde totgeschlagen wie ein Hund, wenn ich zurückkehrte; ich würde wie ein Frosch zwischen Stein zerquetscht, wenn ich mich nur einen Schritt von dem Boden entfernte, der mir zum Aufenthalt zugewiesen wurde. Das ist der Befehl des Königs, des Pharao, der einmal mein Freund war.
    Doch was kann man anders erwarten von einem Niedriggeborenen, der die Namen der Könige aus der Herrscherliste streichen ließ und die Schreiber veranlaßte, seine Eltern als Vornehme in die Königsliste einzutragen. Ich sah seine Krönung, sah, wie man die rot-weiße Doppelkrone auf sein Haupt legte. Von diesem Tage an gerechnet im sechsten Jahr seiner Herrschaft verbannte er mich. Nach der Rechnung seiner Schreiber aber geschah es in seinem zweiunddreißigsten Regierungsjahr. Ist also alles Schreiben, einst wie jetzt, Lüge?
    Ihn, der von der Wahrheit lebte, verachtete ich während seiner Lebenstage wegen seiner Schwäche und erschrak vor dem Verderben, das er durch seine Wahrheit im Lande Kêmet aussäte. Nun ist seine Rache über mir, und ich möchte selber in der Wahrheit leben, nicht um seines Gottes willen, sondern meinetwegen. Die Wahrheit ist ein schneidendes Messer, die Wahrheit ist eine unheilbare Wunde im Menschen, die Wahrheit ist eine Lauge, die bitter das Herz zerfrißt. Darum flüchtet sich der Mann in den Tagen seiner Jugend und seiner Kraft vor der Wahrheit in die Freudenhäuser und verblendet seine Augen mit Arbeit und allerlei Taten, mit Reisen und Vergnügungen, mit Macht und Bauten. Aber es kommt der Tag, da ihn die Wahrheit wie ein Speer durchbohrt, und dann findet er keine Freude mehr an seinen Gedanken, noch an seiner Hände Schaffen, sondern fühlt sich einsam, einsam inmitten der Menschen, und die Götter bringen ihm keine Hilfe in seiner Einsamkeit. Dieses schreibe ich, Sinuhe, obwohl ich mir bewußt bin, daß meine Taten schlecht und meine Wege falsch waren, obgleich ich auch weiß, daß niemand eine Lehre daraus ziehen würde, auch wenn er
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