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Sintflut

Sintflut

Titel: Sintflut
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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körperlichen Hülle trennen. Einen Monat nach seiner Rückkehr nach Lubicz kam er wieder zu sich. Er begriff, wo er sich befand, und rief seinen treuen Diener Soroka zu sich.
    »Soroka,« sagte er. »Gott hat sich meiner erbarmt. Ich fühle, ich werde am Leben bleiben.«
    »Zu Befehl, Pan Oberst,« antwortete der alte Soldat, indem er die niederströmenden Tränen mit seiner Faust abtrocknete.
    »Die Prüfung ist zu Ende,« fuhr Kmicic fort. »Ja, ja, das ist klar. Soroka, wer wohnt in Wodokty?«
    »Die Panna und der Pan Miecznik von Rosien.«
    »Dank dem Herrn! Ist jemand von dort gekommen, nach mir zu fragen?«
    »Man schickte täglich aus Wodokty her, bis wir sagten, Sie wären außer aller Gefahr.«
    »Und dann hörte man auf zu schicken?«
    »Dann hörten sie auf.«
    »So wissen sie noch nichts, – sie werden es von mir selbst erfahren. Hast du niemandem erzählt, daß ich mich Babinicz genannt habe?«
    »Ich habe keinen Befehl erhalten!«
    »Und sind die Laudaer mit dem Pan Wolodyjowski noch nicht zurückgekehrt?«
    »Noch nicht; aber man erwartet sie täglich.«
    Hiermit endete die Unterhaltung. Zwei Wochen später ging Kmicic schon auf Stöcken, und am folgenden Sonntage beabsichtigte er in die Kirche zu gehen.
    »Fahren wir nach Upita,« sagte er zu Soroka. »Man muß bei Gott anfangen, von dort geht's nach Wodokty.«
    Soroka getraute sich nicht zu widersprechen. Und zwei Wochen darauf trat Pan Andreas auf Sorokas Schultern gestützt noch vor Beginn des Gottesdienstes in die Kirche zu Upita ein und ließ sich an der ersten Bank auf die Kniee nieder. Er hatte sich sehr verändert. Sein durch die lange Krankheit bleiches und abgemagertes Gesicht war von einem langen Vollbart umrahmt.
    Allmählich begann sich die Kirche zu füllen. Zuerst kam die geringere Schlachta, dann begannen höhere Persönlichkeiten zu erscheinen, denn man kam von weit her, da rings um Upita herum alle Gotteshäuser geplündert oder niedergebrannt waren.
    Kmicic, der tief in seine Andacht versunken war, schenkte niemandem Aufmerksamkeit. Er erwachte erst aus seinen Gedanken, als ihn der Saum eines Kleides berührte. Pan Andreas hob den Kopf und erblickte das wunderschöne, wenngleich traurige Gesicht Alexandras.
    Sie hatte ihn augenscheinlich auch erkannt; denn sie wich ein wenig wie vor einer schrecklichen Vision zurück. In ihrem Gesichte flammte eine heiße Röte auf, dann jedoch erbleichte sie wieder. Aber mit übermenschlicher Willensanstrengung beherrschte sie sich und kniete neben ihm nieder. Ihr zur Seite kniete der Miecznik.
    So knieten sie nebeneinander mit gesenkten Köpfen, doch sie konnten hören, wie ihre Herzen klopften. Endlich sagte Pan Andreas:
    »Gelobt sei Jesus Christus!«
    »In alle Ewigkeit!« antwortete Alexandra halblaut.
    Und mehr Worte wechselten sie nicht miteinander.
    Der Pater trat heraus und begann seine Predigt. Kmicic verstand trotz aller seiner Bemühungen nichts. Die Heißersehnte, Teure, derentwegen er so viele Jahre Qualen gelitten hatte, die er niemals aus seinem Kopfe und aus seinem Herzen vertreiben konnte, war jetzt neben ihm! Er fühlte ihre Nähe; aber er wagte es nicht, seinen Kopf nach ihr umzudrehen, – er hörte nur mit Inbrunst ihren Atem.
    »Alexandra ist hier!« dachte er. »Gott bestimmte es, daß wir uns hier wiedersehen, – hier in der Kirche. – In der Kirche aber muß man beten, – alle sündigen Gedanken lassen.«
    Aber sowohl seine Lippen wie seine Seele wiederholten immer wieder denselben Namen: Alexandra! Alexandra! Bald wollte er weinen wie ein kleines Kind, bald beten, heiß beten, und Gott danken für alles, alles, alles! – Er war sich selbst nicht klar, was mit ihm vorging. – Sie aber lag auf den Knieen still neben ihm und hatte ihr Gesicht auf die Bank gelegt.
    Der Geistliche beendigte seine Predigt und ging dann von der Kanzel herunter.
    Plötzlich vernahm man in der Kirche von draußen her Waffengeklirr und Hufschläge. Jemand rief an der Schwelle:
    »Die Laudaer sind zurückgekehrt!«
    Und in der ganzen Kirche tönte es zuerst leise, dann lauter und lauter: »Die Laudaer, die Laudaer!«
    Die Menge kam in Bewegung. Alle wandten ihre Köpfe den Eingangstüren zu. In einer der Türen erschien Pan Wolodyjowski und Zagloba. Alle traten zurück und ließen die beiden durch, die zuerst vor dem Altar niederknieten und dann in die Sakristei gingen.
    Die Laudaer blieben vorn am Eingange stehen. Sie wagten es nicht, im Gotteshause ihre Freunde und Verwandten aufzusuchen
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