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Sintflut

Sintflut

Titel: Sintflut
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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während ich nach dem Süden soll?« fragte er leise, mit gepreßter Stimme.
    »Fragen Sie den Pan Hetman! Ich kann Ihnen nicht darauf antworten,« erwiderte der Rittmeister.
    Plötzlich erfaßte Pan Andreas wilder Zorn. Seine Augen erglänzten in einem Unheil verkündenden Feuer, sein Gesicht wurde dunkelblau.
    »Und ich gehe doch nicht von hier!« rief er laut. »Verstehen Sie?«
    »Wirklich?« fragte Wierszull noch einmal. – »Meine Sache war es, Ihnen den Befehl zu übergeben. Und Sie können handeln, wie Sie wollen. – Ich habe die Ehre! – Ich wollte Sie zu einem Becher Met zu mir bitten, aber nach dem, was ich gehört habe, werde ich mich bemühen, meine Zeit in besserer Gesellschaft zu verbringen.«
    Er wandte sein Pferd um und ritt fort.
    Pan Andreas setzte sich wieder am Fuße des Kreuzes nieder und blickte ziellos in den Himmel, als wenn er die dahinziehenden Wolken verfolgen wollte.
    Es war ein herrlicher, bleicher Herbstmorgen, der den kommenden Winter ahnen ließ. Kein Wind wehte, und dennoch fielen Hunderte von gelbgewordenen Blättern leise von den Bäumen.
    Über den Wald flogen Vogelscharen und krähend ließen sie sich auf das mit Leichen besäte Feld nieder. Pan Andreas begann die Vögel zu zählen, er verwirrte sich, schloß die Augen und saß lange so da, ohne jede Bewegung. Endlich fuhr er hoch, zog die Brauen zusammen und brummte vor sich hin:
    »Natürlich, anders kann es auch nicht sein! In zwei Wochen breche ich auf, aber nicht jetzt! Mag sein, was da will! Ich habe doch Rakoczy nicht hergeschickt! Ich kann nicht! Die Kräfte eines Menschen haben auch ihre Grenzen. – Habe ich mich vielleicht noch zu wenig herumgetrieben, – noch zu wenig schlaflose Nächte im Sattel verbracht, – noch zu wenig eigenes und fremdes Blut vergossen? – Hätte ich jenen Brief nicht erhalten, so würde ich mich gleich auf den Weg machen. – Mag die ganze Welt untergehen, – ich bleibe! – Das Vaterland wird in diesen zwei Wochen auch ohne meine Hilfe auskommen. Und schließlich lastet augenscheinlich Gottes Zorn auf ihm, der durch keine menschliche Kraft abzuwenden ist. – Gott! Gott! – Schweden, Preußen, Ungarn, Walachen, Kosaken, – alle auf einmal! Wer kann gegen sie alle aufkommen? O Gott! Wodurch hat dieses unglückliche Land, dieser fromme König, dieses friedliche Volk dich erzürnt? Warum wendest du dein Angesicht von ihnen und schickst ihnen Strafe auf Strafe? In diesem unglückseligen Lande haben die Menschen schon längst zu lachen verlernt, – hier wehen die Winde nicht, – sie stöhnen; – auf diese Fluren strömen die Wolken nicht in segenbringendem Regen hernieder, – sondern sie weinen große Tränen! – Du aber geißelst und geißelst uns noch! Verzeihung, barmherziger Gott! Wir haben gesündigt, aber die Stunde der Reue ist angebrochen. – Wir haben unser Hab und Gut geopfert, wir haben bei Tag und bei Nacht die Waffen ergriffen. Wir haben unserem Eigenwillen entsagt und unser selbst über die große Sache vergessen! – Warum kannst du uns nicht vergeben? Warum willst du uns keine Ruhe schicken?«
    Plötzlich jedoch krampfte sich Pan Andreas' Herz schmerzhaft zusammen. Eine drohende Stimme vom Himmel schien ihm zuzurufen:
    »Ihr wollt euer vergessen haben! Und du, Unglücklicher, was tust du in dieser Minute? Du rühmst dich deiner Verdienste, und in dem Augenblicke der Prüfung, da bäumst du dich auf wie ein tolles Pferd und schreist: »Ich gehe nicht!« Die Heimat steht am Abgrunde des Verderbens, die Schwerter ihrer Feinde durchbohren ihre Brust. Du aber wendest dich von ihr ab; du willst ihr nicht helfen; du jagst deinem persönlichen Glücke nach und rufst: »Ich gehe nicht!« Sie streckt ihre mit Blut bedeckten Hände dir flehend entgegen; sie fällt nieder vor dir und ruft mit bis zum Tode geschwächter Stimme: »Kinder, helft, rettet!« Du aber antwortest: »Ich gehe nicht!« – Wehe euch! Wehe solchem Volke! Wehe der Republik! – – –«
    Kmicic' Haare sträubten sich vor Entsetzen. Er fiel mit dem Gesicht zur Erde und brach in Schluchzen aus.
    »Gott, strafe mich nicht! Gott, erbarme dich mein! Dein Wille geschehe!«
    Als er sich wieder erhob, waren seine Gesichtszüge traurig, aber gefaßt.
    »Gott, der du ein barmherziger Richter bist, du wirst meine Qual begreifen, mein Schwanken. – Ich stand an der Schwelle meines Glückes. Aber dein Wille soll geschehen! – Jetzt begreife ich, daß du mich prüfen wolltest, daß du mich deshalb auf den Kreuzweg
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