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Sintflut (German Edition)

Sintflut (German Edition)

Titel: Sintflut (German Edition)
Autoren: Gina Schulze
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oder sie scheitert am Älterwerden. Und da ich das Scheitern satt habe, kann ich mir ein angeknackstes Ego einfach nicht leisten. Zu viel steht auf dem Spiel: nicht weniger als die nächsten 40 Jahre, jedenfalls statistisch gesehen.
     

2
    Heute vor zwei Wochen kam der Brief an. Am Abend vorher gab es zum letzten Mal Spaghetti mit Tomatensoße. Normal gibt es das einmal die Woche, aber ich bin einfach nicht mehr dazu gekommen. Allein das zeigt schon: Es ist nichts mehr so, wie es sein sollte. Das findet auch Max. Max ist mein Mann und Spaghetti mit Tomatensoße ist eins seiner Leibgerichte.
    Während ich nur eine Zugezogene bin, ist Max hier aufgewachsen und hat noch nie woanders gelebt. Hier, das ist Erlangen in Franken – die Stadt der freundlichen Langeweile, wie Goethe auf einer Durchreise in sein Tagebuch schrieb. Das stimmt immer noch, gerade deshalb hängen die Erlanger an ihrer Stadt. Auch Max wollte nicht weg, und das hat sein ganzes Leben bestimmt. Heute leitet er eine gutgehende Firma, aber ursprünglich wollte er Professor werden. Das scheiterte, weil er dann aus Erlangen weg gemusst hätte. Genau wie bei Kant, der unbedingt in Königsberg bleiben wollte und darum zwei Professuren ausschlug, eine davon übrigens in Erlangen. So schließt sich der Kreis, aber bei Max war es auch noch was anderes, als nur nicht hier weg zu wollen. Er spricht nicht darüber. Ich weiß nicht mal genau, was er studiert hat. »Dies und das«, sagt er immer, aber er kann richtig ärgerlich werden, wenn man ihn darauf anspricht.
    Nach seiner Zeit an der Uni fand Max einen Job bei einer Sicherheitsfirma. Er machte dort schnell Karriere, stieg dann aus, um sich selbständig zu machen. Er ist ein Arbeitstier, was man ihm nicht ansieht. Im Gegenteil: Er wirkt zehn Jahre jünger, als er ist. Wo wir seinen 60 Geburtstag feiern, hat er noch nicht verraten, aber er führt was im Schilde, das merke ich ihm schon die ganze Zeit an. Max ist immer für Überraschungen gut, abgesehen davon, dass er unbedingt sein Leben in Erlangen verbringen will.
    Auch unsere abendlichen Mahlzeiten sind obligatorisch. Für mich allein würde ich nie soviel Aufwand treiben, aber Max will jeden Tag zweimal warm , wie das hier in Mittelfranken heißt. Mittags versorgt er sich in der Werkskantine von Siemens, abends dann zu Hause und immer mit Nachschlag. Dabei wird er nie dick, im Gegensatz zu mir. Ich muss dauernd was für meine Figur tun und regelmäßig Sport treiben, um mein Gewicht zu halten. Wohl auch deshalb, weil ich nie einen Apfel esse, wenn ich Lust auf eine Bratwurst habe, und das ist verhältnismäßig oft der Fall. Zum Beispiel, wenn Max und ich in Adlitz sind, da schmecken sie mir am besten. Seit Jahren esse ich nun schon Adlitzer Bratwürste, aber wie der Gasthof richtig heißt – keine Ahnung. Das geht hier vielen so. Trifft ein Erlanger den anderen und sagt: »Treffen wir uns in Adlitz!«, dann wissen sie auch so, was gemeint ist.
    An unserem letzten Abend dort holten Max und ich uns an der Selbstbedienungstheke zwei Bratwürste mit Brot und Sauerkraut für jeden, setzten uns auf eine Holzbank und schauten von dort oben auf das weite Land hinaus. Auf die winzigen Äcker und gepflegten Obstwiesen, auf die Hecken und Bäume, auf die Dörfer und Kirchtürme. Natürlich gibt es auch Straßen, Strommaste, Gewerbegebiete und Reklameschilder, aber blendet man das einmal aus, dann könnte man sagen: Hier ist das wahre Auenland. Ein Bilbo Beutlin hätte sich mit den betulichen Mittelfranken, die sich sogar ihr Bier selber brauen, weil es ihnen sonst nicht gescheit schmeckt, sicher sehr wohl gefühlt.
     
    Ich kann mich an den Abend noch genau erinnern. Die Sonne ging gerade unter, tauchte das ohnehin Freundliche in ein noch freundlicheres Licht. Wie immer bekam Max seinen Senfbeutel nicht auf und schimpfte über die moderne Verpackungstechnik. Ich ließ ihn eine Weile machen, dann nahm ich ihm den Beutel ab und riss ihn an der vorgesehenen Stelle auf, danach die Hände sauber und der Senf noch drin. Max schaute indigniert drein, als ob es eine geheime Absicht wäre, dass ich das Ding ohne Probleme aufkriege, er aber nicht. Doch dann beruhigte er sich wieder, schnupperte an seiner Bratwurst und schnitt sich sein erstes Stück ab.
    An diesem friedlichen Kneipenabend sah die Welt für mich noch folgendermaßen aus: Max verdient das Geld, ich kümmere mich um den Haushalt. Wider Willen, aber oft ganz gerne. Ich lebe so, wie ich leben will, und bin nicht
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