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Sintflut (German Edition)

Sintflut (German Edition)

Titel: Sintflut (German Edition)
Autoren: Gina Schulze
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er mir noch Verschiedenes zeigen und wegen Paula, sagt er, am Montag gleich den Chef fragen.
    Der Chef, das ist der Leiter des Instituts, in dem Paula und er arbeiten: Otto Goppel, Professor für die Vor- und Frühgeschichte Osteuropas. Paula kommt nicht gut mit ihm aus. Den Antrag für ihr Rumänienprojekt bekam sie noch unter Professor Helmjahn durch, das ist Goppels Vorgänger. Paula hat den Eindruck, dass Goppel ihrer Arbeit skeptisch gegenübersteht. Wäre es nach ihm gegangen, wäre sie nicht in Rumänien, da ist sie sicher.
    Ich schlage Kaffee und Bier aus, aber Fleischmann lässt nicht locker. »Ich hätte da eine Idee: Wenn ich das Polaroid einscanne, könnte ich es per E-Mail versenden und einige Kollegen fragen, ob sie was darüber wissen.«
    Ich zögere, das Foto herzugeben, aber dann tue ich es doch. Was hat es für einen Sinn, sich jetzt anzustellen. Vielleicht brauche ich Fleischmann noch mal. »Wenn es weiter nichts ist« sage ich, habe aber das Gefühl, einen Fehler zu machen. Wenn ich nur wüsste, was ihn an dem Bild interessiert, obwohl er die Figur für eine Imitation hält. Als er mit dem Scannen fertig ist, macht er keinen Versuch mehr, mich aufzuhalten. Im Gegenteil spüre ich jetzt: Er ist froh, mich los zu werden.
     

4
     
    Auf der Fahrt zurück denke ich an Fleischmann und wie er auf Paulas Foto reagiert hat. Vor einer Ampel ist grün, aber der Fahrer vor mir bleibt noch stehen und überlegt, was er nun machen soll. Das ist typisch für Erlangen. Vor kurzem hätte ich fast einen Unfall gehabt, weil so ein Ich-fahre-freiwillig-30-Mann auf eine Kreuzung zurollte und dann bei Gelb bremste. »Erlangen, Stadt in Trance«, schimpft Max in solchen Fällen. Ich als Zugereiste sage dann besser nichts. Nur er darf sich über seine Stadt lustig machen, das ist ein ungeschriebenes Gesetz.
    Mein Besuch bei Fleischmann hat mich müde gemacht. Ich sehne mich nach einer Tasse Kaffee und einem Stück Sahnetorte, entscheide mich dann aber für frische Luft und einen Gang auf den Burgberg. Der Burgberg ist die einzige Erhebung Erlangens, das ansonsten flach und an vielen Tagen staubig in der Ebene liegt. Ich beginne meinen Aufstieg im Burgberggarten, das ist mindestens so ein Wachrüttler wie Kaffee und Kuchen. Wegen der steilen Treppen, aber auch wegen der Kirchner-Skulpturen, die hier aufgestellt sind. Es kommt beides zusammen: die Anstrengung des Steigens und der Zauber der Kunst. »Der Bote grüßt die ferne Gottheit« steht auf meiner Lieblingsfigur, die ihre spindeldünnen Arme gen Himmel reckt und scheu, aber selbstbewusst nach oben schaut.
    Oben angelangt kommt man am alten Wasserwerk vorbei. So hätte modernes Bauen sein können, wenn es nicht unter Tonnen von Waschbeton und Inkompetenz begraben worden wäre: schlicht, geradlinig, freundlich und hell, eine gelungene Verbindung von Material und Proportion. Das Wasserwerk ist fast ganz vom Burgbergwald umschlossen, genau wie ein paar Meter weiter das stille August-von-Platen-Häuschen. Dorthin zog der Dichter sich zurück, nachdem Heinrich Heine ihn wegen seiner Homosexualität unmöglich gemacht hatte. Komisch, wie früher gerade die Linken und angeblich Progressiven gegen die Homos agitierten. »Ich bin schwul und das ist auch gut so!«, heißt es heute flott, aber ich muss immer an den armen Friedrich August Krupp denken, wenn ich den Spruch höre. Krupp war einer der größten Wohltäter seiner Zeit, aber halt Kapitalist und dann auch noch schwul, so stand es jedenfalls eines Tages im SPD-Parteiblatt »Vorwärts«. Beweisen konnte die Anschuldigungen niemand, aber für Krupp war der Bericht ein Desaster. Nach Wochen der öffentlichen Schmach beging der Unternehmer im November 1902 Selbstmord.
     
    Ich setze mich auf die Mauer vor dem Platen-Häuschen, es ist immer kühl und schattig dort. Ich kriege sogar eine Gänsehaut, auch wenn ich nicht genau sagen kann, woran das liegt: an der frischen Brise, die plötzlich aufgekommen ist, oder an dem, was Fleischmann alles gesagt und vor allem nicht gesagt hat.
    Angenommen, er lügt und Paulas Figur stammt von dem einen großen Hamangia-Künstler: Ist das wirklich so aufregend? Und wenn ja: nur für Archäologen oder auch für den Rest der Welt? Egal wie, eins ist sicher: Bevor Paula untergetaucht ist, hat sie ihren Fund bestimmt nicht den Behörden gemeldet. Sie kann also offiziell gar nichts unternehmen. Die Grabungen, die sie machen wollte, haben noch nicht angefangen, sie ist in der Vorbereitungsphase.
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