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Sintflut (German Edition)

Sintflut (German Edition)

Titel: Sintflut (German Edition)
Autoren: Gina Schulze
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oder die Vulva, die Fachwelt streitet noch.«
     
    Ich denke an das Haus meiner Großeltern. Mein Opa war Jäger. War es was grundsätzlich anderes, wenn er sich Geweihe an die Wand hängte? Er hat die Mondlandung im Fernsehen gesehen und meine Oma machte Witze über den lieben Gott, wenn sie gute Laune hatte. Was würden die Leute denken, wenn sie ein Haus wie dieses samt Einrichtung in, sagen wir mal 3000 Jahren irgendwo ausgraben würden? Schriftliche Zeugnisse gäbe es keine, weil niemand mehr über die Technik verfügen würde, eine Festplatte, einen Memostick oder eine DVD zu lesen, außerdem wären die Prozessoren und Beschichtungen längst hinüber. Nur, was im Boden liegt, wäre von uns übrig geblieben, zum Beispiel das Haus meiner Großeltern. Was würden die Archäologen der Zukunft dazu sagen? Zu den Geweihen an der Wand, zu der Vitrine mit dem Stierkämpfer, der schwarzhaarigen Flamencotänzerin und dem Schwarzwaldmädel mit seinem Hut aus roten Kugeln? Der Stierkult lebt, die Muttergöttin auch – zu diesem Schluss würde ein Typ wie Fleischmann kommen.
     
    Er verspricht, sich zu melden, sobald er was Neues weiß. Wer’s glaubt, wird selig. Als Nächstes schaue ich die Mails durch, die ich für Paula ausgedruckt habe. Es sind Fragen von Studenten, amtliche Mitteilungen, Virenwarnungen und Einladungen. Eine kommt von der Universität Erlangen, ein Gastvortrag im Rahmen der Sommerakademie. Referent ist Prof. Dr. Otto Goppel. Das Thema lautet: Vom Kult zur Kultur. Ein Streifzug durch das Neolithikum . Die Einladung ist ein paar Wochen alt, der Vortrag ist heute. Das nur zum Thema Ferien und der Chef nicht da. Ich sollte mir Goppels Worte nicht entgehen lassen.
    Schon Stunden vorher radle ich zur Universitätsbibliothek, um mich auf das Thema vorzubereiten. Die UB ist ein zweistöckiger Betonbau, mehr als zwei Stockwerke gelten in Erlangen schon als Hochhaus. Da aber der Franke Hochhäuser nicht mag, geht die Stadt in die Breite wie ein alternder Dackel. Überall Häuser mit spitzen Giebeln, bei den meisten folgt nach dem Erdgeschoss gleich das Dach. Die Grundstücke sind klein, die Häuser stehen eng zusammen, aber Hauptsache gemütlich.
    Im Lesesaal entscheide ich mich für Die Anfänge Europas . In der Jungsteinzeit, so lese ich dort, wurden in Osteuropa ungewöhnlich viele Keramikfiguren hergestellt. Man nimmt an, sie stellen einen Gott oder eine Göttin dar. Die meisten Fundstücke sind Frauenfiguren. Alle haben große Brüste und pralle Schenkel, dazu gibt es die passenden Männer, alle mit traumhaftem Unterbau. Sexualität oder vielmehr Fruchtbarkeit war offenbar ein Thema. Sogar ein Liebespaar ist dabei. Sie liegt halb auf dem Rücken, er schmiegt sich von der Seite an sie. In wohliger Schwere scheinen sie in den Schlaf gesunken. Die Welt mit ihren Kümmernissen mag warten.
    Ein Wandbild aus einem Fundort in Anatolien zeigt Männer auf der Jagd, alle sind schlank und beweglich. Die einzige Frau auf dem Bild ist dick. Sie steht etwas abseits und kehrt der Jagdszene den Rücken zu, ebenso wie der Hund, der zu ihren Füßen liegt. Die Männer jagen, die Frauen bleiben zu Hause. Zähmen Tiere, kultivieren Getreide. Die Arbeit ist anstrengend, aber schlank und beweglich hält sie nicht. Sie bekommen ein Kind nach dem anderen und in der Schwangerschaft werden sie regelrecht gemästet, denn die dicke Frau bringt ihr Kind besser durch, als die dünne.
    Vielleicht waren es Künstlerinnen, die die Figuren und die Wandbilder gemacht haben. In Afrika oder Indien ist das heute noch so. Frauen töpfern, malen, gestalten und bauen. Es gibt keine Tapeten, keine Einbauschränke, keine Systemregale und kein Geld, wie in der Steinzeit. Das Schreiben war noch nicht erfunden, also versuchte man vielleicht über die Kunst, etwas für die Nachwelt festzuhalten: Geburt, Tod, Alltagsleben. Für die Idee, die Kunst stammt von Frauen, spricht auch, dass Krieg und Kampf in dieser Periode nicht dargestellt werden. Ganz im Gegensatz zu späteren Jahrhunderten, wo es in der Kunst fast kein anders Thema mehr gibt.
    Als es Zeit für den Vortrag ist, gehe ich zum Hörsaal und setze mich auf einen der hinteren Plätze nahe beim Ausgang, falls mir langweilig wird. Nach mir kommen noch etwa 40 Leute, dann werden die Türen geschlossen und jemand geht zum Mikrofon.
    Es ist der nette Armin Jakobi, ein Professor, den ich mal auf einer Feier kennengelernt habe und der mir oft beim Einkaufen begechned , wie der Franke sagt. Dieser
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