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Sintflut (German Edition)

Sintflut (German Edition)

Titel: Sintflut (German Edition)
Autoren: Gina Schulze
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denkt, das Schimpfen sei echt. Seit Neuestem grüßt sie Max nicht mehr. Zu mir ist sie stets freundlich und schaut mich forschend an. Sucht nach verweinten Augen und blauen Flecken, findet aber keine.
    Es ist ein Spiel. Richtig streiten tun Max und ich nie. Aus früheren Beziehungen kennen wir aber die Dramaturgie des Ehekrachs und deshalb spielen wir sehr überzeugend. Echten Streit oder das sogenannte reinigende Gewitter halten wir für einen Irrweg. Wie leicht sind Demütigungen dabei, die man nie wieder vergisst und auch kaum verzeihen kann. Und wie leicht geht es nicht mehr um die Sache, sondern um Macht.
    »Darf ich es mal anfassen?«, frage ich vorsichtig.
    Max kommt auf mich zu und neigt sein Haupt. Ich streiche mit der Hand über den zarten Flaum, der seit der Rasur nachgewachsen ist. Es fühlt sich gut an. Noch weicher als ein chinesischer Seidenteppich. Und es prickelt so schön.
    »Hhhhmm«, raune ich in sein Ohr. »Lass mal bloß keine andere das machen. Jede Frau will mehr, wenn sie dich da oben gestreichelt hat.«
    »Sei die Einzige«, antwortet Max lächelnd und führt mich in unsere Kellersauna. »Ich habe sie vorhin eingeschaltet. In der Hoffnung, du willst noch mit mir schwitzen.«
    »Aus einem oder aus zwei Gründen?«
    »Zwei, meine Süße. Vielleicht auch drei. Ich war lange fort.«
    Für Max sind zwei Tage eine lange Zeit, wenn wir getrennt sind. Für mich auch. Nach dem Saunagang schenkt Max uns zwei Gläser Rotwein ein. Ich zünde mir eine Zigarette an. Dann erzähle ich ihm alles. Von dem Brief und dem Foto und meinem Besuch bei Fleischmann.
    »Du willst also nach Rumänien?«, fragt er, als ich fertig bin.
     

5
    An gestern Abend denke ich nur ungern zurück. Denn ich habe Ja gesagt: Ja zu Rumänien und Max gefiel das absolut nicht. Er war trotz Schwitzen in der Sauna ganz blass und machte lange Zeit ein finsteres Gesicht. Erst als die Flasche Rotwein alle und noch eine zweite entkorkt war, wurde er lockerer. Als ich heute Morgen aufwachte, war er schon weg. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel: ›Wollte dich nicht wecken. Muss nach Düsseldorf, bin heute Abend wieder zurück. Bis dann, dein Max.‹
    Nur einen Zettel schreiben, das macht er sonst nie. Andererseits hat er einiges zu verdauen. Er hat mir klar gemacht, es wäre ihm lieber, wenn ich das mit Rumänien lasse, weil es gefährlich ist. Ich mache es trotzdem und da reagiert er eben zugeknöpft. Kann ich verstehen. Aber wie ich ihn kenne, ist er heute Abend drüber weg.
     
    Wir haben Montag. Gleich nach dem Frühstück rufe ich Fleischmann im Institut an. Er nimmt sofort ab und als er »Fleischmann«, sagt, klingt er noch ganz entspannt. Sobald er meinen Namen hört, ändert sich das.
    »Frau Adler, ich, ja also … wie schön, von Ihnen zu hören. Mit dem Chef habe ich noch nicht gesprochen, es sind ja Ferien. Aber sobald er mal reinschaut, will ich ihn fragen …«
    »Danke für Ihre Hilfe. Haben Ihre Kollegen schon was gesagt?«
    »Welche Kollegen wozu gesagt?«
    »Na, Sie haben doch das Foto eingescannt und wollten im Internet …«
    »Ach wegen der Figur«, unterbricht er mich, »ja, also, meine Kollegen haben auch gesagt, dass es wohl eine Fälschung ist und sich da jemand einen Scherz erlaubt oder sonst was im Gange ist, wovon ein anständiger Archäologe lieber die Finger lassen sollte. Ich würde Ihnen empfehlen, bei der Botschaft anzurufen, wenn Sie sich Sorgen um Paula machen. Was wir hier vom Institut aus gegebenenfalls unternehmen, muss insbesondere mit Professor Goppel abgestimmt werden.«
    »Ja, vielleicht mache ich es so. Aber eins würde mich noch interessieren: Warum soll es sich bei der Figur um einen alternden Vegetationsgott handeln?«
    »Die auf dem Foto?«, antwortet er gereizt. »Das habe ich nicht gesagt. Der Denker wird so interpretiert. Der Denker, verstehen Sie? Und warum auch nicht? Götter standen damals im Zentrum der menschlichen Existenz. Nur sie wussten Antwort auf zentrale Fragen: Würde im Frühjahr die Saat aufgehen? Würden die Neugeborenen überleben? Würden die Kranken wieder gesund? Wo gingen die Toten hin? Die Götter mussten günstig gestimmt werden, denn das Schicksal der Menschen lag in ihrer Hand. Alle Häuser waren Kultstätten. Schauen Sie sich mal Catal Hüyük an, das ist eine alte Steinzeitsiedlung. In den Häusern hängen Stierköpfe an der Wand. Sie symbolisieren die Muttergöttin. Ihre Hörner sind die Eileiter, der Kopf stellt die Gebärmutter dar, die Schnauze den Muttermund
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