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Singularität

Singularität

Titel: Singularität
Autoren: Charles Stross
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angenehme Überraschung, wenn es auch irgendwie
ärgerlich war, dass man ihn deswegen extra geweckt hatte: die
Bestätigung, dass sein Visum anerkannt und die
Sicherheitsprüfung abgeschlossen sei. Wegen des Transits zu den
Marinewerften im geosynchronen Orbit solle er sich am Abend um
achtzehn Uhr auf dem Raumhafen in South Austria melden.
    Telegramme, überlegte er, waren längst nicht so
zivilisiert wie E-Mails. Letztere wurden nicht von diensteifrigen
Jungen überbracht, die einen aus dem Bett warfen, damit man
gegenzeichnete. So eine Schande, dass man in der Neuen Republik
keinen Zugang zu E-Mails hatte und stets auf Telegramme
zurückgreifen musste. Aber natürlich waren E-Mails etwas,
das von keiner Zentrale kontrolliert wurde, und Telegramme alles
andere als das. Und die Neue Republik war ganz scharf auf
Zentralisierung.
    Er zog sich an, rasierte sich und machte sich auf den Weg nach
unten, zum Speisezimmer, um dort zu frühstücken. Er trug
die hier übliche Kleidung – ein dunkles Jackett, enge
Bundhosen, Stiefel und ein Hemd mit Spitzenrüschen am Kragen
–, allerdings von leicht unmodernem Schnitt, der eine gewisse
Nachlässigkeit gegenüber modischen Feinheiten verriet. Er
hatte festgestellt, dass eine Mode, die am Ort unbekannt war, es
einem oftmals erschwerte, ein gutes Arbeitsverhältnis zu den
Einheimischen herzustellen. Sah man jedoch nur ein bisschen seltsam
aus, spürten sie die Fremdheit, ohne dass sie davon
erdrückt wurden, und machten ein paar Zugeständnisse, wenn
man sich anders als üblich verhielt. Welches Maß man auch
anlegen mochte: Die Neue Republik war eine isolierte Gesellschaft,
und selbst einem so weit gereisten Mann wie Martin fiel der Umgang
damit schwer, doch wenigstens bemühten sich die ganz normalen
Leute um Verständigung.
    Inzwischen war er so gut mit den örtlichen Eigenheiten
vertraut, dass er sich davon nicht mehr nerven ließ, sondern
jeden neuen Affront mit stillschweigender Resignation über sich
ergehen lassen konnte. Wenn der Empfangschef mit seiner
aristokratischen Nase ihn von oben herab anstarrte oder die
zugeknöpften Zimmermädchen mit gesenktem Blick an ihm
vorbeihuschten, fügte sich dies lediglich in das komplexe Mosaik
republikanischer Sitten. Die Gerüche nach Bohnerwachs,
Chlorbleichmitteln, Kohlerauch aus dem Heizungskeller und den
Ledersesseln im Esszimmer – all das waren die fremdartigen
Düfte einer Gesellschaft, die sich noch nicht an das Zeitalter
des Kunststoffs angepasst hatte. Doch es gab auch örtliche
Sitten, die ihm durchaus zusagten: Das allmorgendliche
Nachrichtenblatt, das sorgfältig gefaltet neben seinem Platz am
Frühstückstisch lag, rief ein merkwürdiges Gefühl
von Heimkehr bei ihm hervor – als hätte er sich auf eine
Reise begeben, die fast dreihundert Jahre in die Vergangenheit seiner
eigenen Kultur führte und nicht hundertachtzig Lichtjahre in die
Tiefen des Alls. Obwohl beide Reisen ja genau dasselbe bedeuteten,
wenn man so wollte.
    Zum Frühstück aß er in Butter gedünstete
Pilze, gebratene Gänseeier und ein besonders schmackhaftes
getoastetes Roggenbrot aus Sauerteig. Dazu trank er
beträchtliche Mengen Zitronentee. Schließlich
verließ er das Zimmer, um sich auf den Weg zur Rezeption zu
machen.
    »Ich möchte gern ein Transportmittel reservieren.«
Der Angestellte, der Bereitschaftsdienst hatte, sah mit
distanziertem, leicht abwesendem Blick auf. »Einen Flieger, zum
Marineraumhafen Klamowka, so bald wie möglich. Ich nehme nur
Handgepäck mit und möchte mein Zimmer hier behalten, auch
wenn ich einige Tage unterwegs bin.«
    »Ah, verstehe. Entschuldigen Sie mich, Sir.« Der
Angestellte huschte ins Labyrinth der Büros und kleinen
Diensträume, das sich hinter den dunklen Holzpaneelen der Lobby
verbarg. Kurz darauf kehrte er mit dem Empfangschef im Schlepptau
zurück, einem großen, leichenblassen Mann mit gebeugten
Schultern und hohlen Wangen, ganz in Schwarz gekleidet, der den
würdevollen Ernst eines Grafen (oder sonstigen Angehörigen
des Niederadels) zur Schau trug. »Sie brauchen ein
Transportmittel, Sir?«, fragte er.
    »Ich muss zum Marinestützpunkt Klamowka«,
wiederholte Martin und sprach dabei bewusst langsam. »Heute
noch. Deshalb brauche ich kurzfristig ein Transportmittel. Ich werde
mein Gepäck im Hotel lassen. Wie lange ich fort sein werde, kann
ich noch nicht sagen, aber ich möchte mein Zimmer
behalten.«
    »Verstehe, Sir.« Der Empfangschef nickte seinem
Untergebenen zu, worauf er sich schnell
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