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Sinfonie des Todes

Sinfonie des Todes

Titel: Sinfonie des Todes
Autoren: Armin Öhri / Vanessa Tschirky
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ein hemmungsloses Schluchzen an sein Ohr drang. Trotz seiner vielen Jahre bei der Gendarmerie fühlte er sich immer noch hilflos und unsicher im Umgang mit weinenden Damen.
    »Er – er hat sich umgebracht. Er ist tot! Bitte kommen Sie. Schnell.«
    Der Inspektor räusperte sich und erkundigte sich nach ihrem Namen.
    »Lina Fichtner.«
    Sie gab ihm ihre Adresse an, und Cyprian versicherte ihr, in wenigen Minuten dort zu sein.
     
    Schnellen Schrittes und in Begleitung von zwei Beamten näherte sich der Inspektor dem dunklen Herrenhaus, dessen hohe, schmale Türmchen wie Stacheln in die Höhe ragten und die Wolken, die sich wieder zu einer schwarzen Decke zusammengeballt hatten, anzukratzen schienen. Lediglich aus einem Fenster im ersten Stock drang ein Streifen Licht nach draußen, ansonsten lag das Anwesen in Stille und Finsternis gehüllt da. Die drei Polizisten öffneten das schmiedeeiserne quietschende Tor, das in die mit Efeu und Clematis überwucherte Mauer eingelassen war, überquerten den Kiesweg und stiegen die Stufen zur Terrasse hinauf. Warnstedt zuckte kurz zusammen, als ein Igel wie ein kleines Kind zu fiepen begann und von raschelnden Geräuschen begleitet unter einem Busch hervortapste. Der Inspektor betrachtete das Tier, wandte sich jedoch wieder ab, als ihn Oskar Werlhoff, einer der Beamten, auf die Schulter tippte, und zog ruckartig an der Klingel. Ein heller Klang ertönte, der sich im Innern des Hauses hundertfach zu wiederholen schien und schließlich hallend verstummte.
    Nach geraumer Zeit sahen die Polizisten das Licht im Erdgeschoss angehen. Sie vernahmen leise Schritte, die sich der Tür näherten, deren Klinke schließlich heruntergedrückt wurde. Eine hübsche Frau mit verquollenen Augen stand vor ihnen.
    »Ich bin Lina Fichtner«, empfing sie die Männer. Erst jetzt, als sie zum zweiten Mal ihren Namen nannte, horchte Warnstedt auf. Fichtner, so hieß ein ehemaliger Arbeitskollege von ihm, den er sehr gemocht, aber leider schon lange nicht mehr gesehen hatte. War sie verwandt mit ihm? Oder – war er sogar der Tote, ihr Ehemann? Soweit er sich erinnern konnte, war Robert Junggeselle. Cyprian betrachtete die langen dunkelbraunen Haare der jungen Frau, die leicht über ihren Rücken fielen, das etwas zu bleiche Gesicht mit den schön geschwungenen Wangenknochen und die vollen, himbeerfarbenen Lippen, an die sie ein Spitzentaschentuch presste. Unvermittelt zog der Polizist den Bauch ein, dessen Ansatz sich in den letzten Jahren durch leidenschaftlichen Fleisch- und Weingenuss stetig vergrößert hatte.
    »Gnädige Frau, mein Name ist Cyprian von Warnstedt«, stellte er sich vor. »Vorhin am Telefon haben wir miteinander gesprochen.«
    Lina blinzelte eine Träne aus den Wimpern. »Kommen Sie bitte herein«, sprach sie leise.
    Während der Inspektor mit seinen beiden Kollegen die Eingangshalle des Hauses betrat, erkundigte er sich möglichst beiläufig: »Darf ich Sie fragen, wie der Name Ihres Mannes ist?«
    »Wilhelm. Wilhelm Fichtner.«
    Mein Gott, es ist womöglich sein Bruder, dachte Warnstedt und erschauderte. Mit sanfter Stimme meinte er, indem er mit einer Hand ihren Arm umfasste: »Der Arzt muss jeden Moment kommen. Wären Sie so freundlich, uns in der Zwischenzeit zu zeigen, wo sich die – wo sich Ihr Gatte befindet?«, verbesserte er sich.
    Lina schritt den Beamten voran die Treppe hinauf und geleitete sie durch den Korridor, der zum Schlafzimmer ihres Mannes führte. Der Inspektor fuhr mit dem Finger über eine Kommode und betrachtete interessiert den Staub, der daran hängen geblieben war. Die Gesichter auf den schweren Ölgemälden an den Wänden konnte er nur schwer erkennen, die Tapeten wirkten speckig und wiesen an einzelnen Stellen Risse auf. Das ganze Gebäude machte einen heruntergekommenen, ungepflegten Eindruck und Cyprian wusste, dass sie noch herausfinden mussten, warum dies so war. Wiens Fassaden bröckelten, das wusste er. Die vordergründige Schönheit verdeckte nur mehr begrenzt den Zerfall der Zeit, der sich dahinter verbarg. Doch das hier war etwas anderes, das war ihm instinktiv bewusst.
    Die junge Frau blieb vor einer geöffneten breiten Holztür stehen und deutete mit zitterndem Finger in den Raum. »Da ist er. Ich möchte nicht – wenn Sie verstehen.«
    Cyprian nickte teilnahmsvoll. »Natürlich. Wir kommen zu Ihnen, falls wir Sie benötigen. Vielen Dank. Gönnen Sie sich einen kräftigen Schluck Kognak. Der wird Sie beruhigen.« Lina nickte und wandte
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