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Sinfonie des Todes

Sinfonie des Todes

Titel: Sinfonie des Todes
Autoren: Armin Öhri / Vanessa Tschirky
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Sie rappelte sich vom Boden auf und setzte sich ächzend wieder in den Sessel.
    »Heute Abend beim Attaché war jeder der Meinung, Schrader habe einen ganzen Monatslohn gewonnen. Fakt ist jedoch, dass er beim Roulette ein System benutzt. Ich habe ihn beobachtet, Lina. Er wechselt die Spieltische und setzt entweder auf Pair oder auf Impair. Sobald er verliert, verdoppelt er beim nächsten Setzen einfach den Einsatz. Auf diese Weise kann er unendlich lange spielen, denn irgendwann muss er ja gewinnen. Sobald dies eintritt, ist sein Konto wieder eben und die Ausnahmen und Einnahmen halten sich die Waage. Da niemand weiß, dass er neben dem Gewinn zuvor auch noch Verluste gemacht hat, kann er den vermeintlichen Profit als hinreichenden Grund für seine rosige Lage angeben. Heute Abend hat Schrader 160 Gulden gewonnen, aber vorher 155 verloren. Mit fünf Gulden kann man sich kein Auto kaufen. Nein, hier wurde lediglich das Geld gewaschen. Und Schrader hatte die Gewitztheit, sich den Gewinn sogar quittieren zu lassen – für seine Steuererklärung.«
    Noch immer hallte das quälende Geräusch der kratzenden Nadel durch das Haus. Lina und Robert sahen sich schweigend an. Schließlich machte er sie auf den anonymen Brief aufmerksam, der in der Morgenausgabe der Kronen-Zeitung erschienen war.
    »Das warst du«, raunte er, »und zwar mit Vorsatz. Du wusstest, dass ich für die Tatzeit kein Alibi vorweisen kann. Ich war ja allein daheim, mich mit meinen Alpträumen abplagend. Die derzeitige antisemitische Stimmung, die nach einem Judenfreund als Täter lechzt, kam dir gelegen. Die Adressliste von dir, die Warnstedt als Schriftprobe untersuchen ließ, war diejenige einer Rechtshänderin. Der anonyme Brief jedoch wies die verstellte Schrift einer Linkshänderin auf. Da du offensichtlich auf beiden Händen schreibkundig bist, warst du in der Lage, den Graphologen in die Irre zu führen.«
    »Touché«, erwiderte Lina mit hochtrabendem Dünkel. »Aber was nützt dir dies alles, Robert? Das sind bloß Vermutungen, du hast keine Beweise, und ich werde mich hüten, mich selbst ans Messer zu liefern.«
    Sie erhob sich aus dem Sessel. Ihr Einwand war einleuchtend und dazu angetan, dass sie ihr Selbstbewusstsein wiedererlangte. Mit der Sicherheit einer Königin stand sie vor dem Sektionsrat, und in ihrem abschätzigen Blick loderte jene Verachtung, die bereits sein Bruder zu spüren bekommen hatte.
    »Was willst du jetzt tun, Robert? Morgen früh wird wieder die Sonne aufgehen – so wie bisher. Die Aussage eines fantasierenden Schwindsüchtigen ist gehaltlos. Du hast nichts in der Hand, rein gar nichts. Und ich werde abwarten, bis du verreckt bist, und dann weiterhin mein Geld beziehen.« Sie lachte auf, und ihr Lachen vermischte sich grotesk mit dem Gekratze des Grammofons.
    In aller Gemütsruhe spannte Fichtner den Abzugshahn, als er den Revolver auf seine Schwägerin richtete. Er spürte den metallischen Geschmack von Blut in seinem Mund.
    »Bei all deiner Verkommenheit hast du etwas übersehen«, sagte er voller Gleichmut.
    »Was soll das schon sein?«, warf sie ihm höhnisch an den Kopf.
    »Dein Notar.«
    »Mein Notar?«, wiederholte sie ungläubig; doch augenblicklich bemerkte sie das Fatale an seiner Aussage, das Hinterhältige, Arglistige, das sie zu Fall bringen konnte.
    »Ein Schuss, und in wenigen Stunden weiß die ganze Welt, wer meinen Bruder umgebracht hat. Dass man es sogar noch aus deinen eigenen Zeilen erfährt, erheitert mich ungemein. Das ist Ironie des Schicksals, Lina. Alles, was jenseits dieser Nacht liegt, fällt zu meinen Gunsten aus.«
    »Du wirst es nicht wagen«, zischte sie. »Du bist kein Mörder, Robert!«
    Fichtner blickte sie an. Halb nackt stand sie vor ihm, zitternd, mit offenem Schlafrock, die Augen weit aufgerissen. Was hatte er schon zu verlieren? Was gab es noch, was ihn davon abhielt, Wilhelm zu rächen? Als er abdrückte und ihm der schweflige Geruch des Schießpulvers in die Nase fuhr, fühlte er sich so befreit, wie schon lange nicht mehr.
    Der Sektionsrat wandte sich zum Gehen. Er trat in die Empfangshalle, um die Villa durch die Vordertür zu verlassen. Irgendwo auf dem Weg zum Duell würde er noch die Waffe entsorgen müssen. Hinter ihm lag Lina Fichtner auf dem Boden, sie bäumte sich auf, versuchte zu schreien, doch das Blut, das ihr in die Kehle drang, erstickte jeden Laut. Sie wurde bleicher, sank wieder zurück, während ihre Beine zuckten und der Glanz ihrer Augen erlosch.

29.
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