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Sinfonie des Todes

Sinfonie des Todes

Titel: Sinfonie des Todes
Autoren: Armin Öhri / Vanessa Tschirky
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hast. Alle Achtung, der Herr wollen sich schlagen, der Herr wollen ein Duell im Morgengrauen. – Du ödest mich an, Robert. Hast du heute noch nicht genug Unheil angerichtet? Nun sag schon, was du willst.«
    Von der Galerie schwebten die Töne des verminderten Septakkords herab, mit denen das Anfangsmotiv der Schicksalssinfonie wiederholt wurde. Die Witwe legte den Revolver auf die kleine Anrichte beim Durchgang zum Salon und betrat diesen, um sich in einem Sessel niederzulassen. Fichtner jedoch blieb im Rahmen stehen.
    »Ich möchte reden«, offenbarte er seiner Schwägerin.
    »Worüber denn bloß?«
    »Defraudation.«
    Lina merkte auf. Ihre Augen schimmerten eisgrau im fahlen Licht der Lampen. Beinahe wäre ihr das Kleidungsstück verrutscht, und sie wollte sich für kurze Zeit entschuldigen, um sich etwas überzuziehen. Mit der Hand deutete sie auf die Ottomane mit dem Blumenmuster und lud Fichtner ein, sich einstweilen niederzulassen.
    »Du bleibst sitzen«, beschied ihr Robert mit harter Stimme. Plötzlich hielt er ihren Revolver in der Hand.
    »Bist du von Sinnen?«, fuhr sie ihn an.
    »Mein Kopf war noch nie so klar wie heute Nacht.«
    Sie atmete tief durch, lehnte sich zurück und lächelte ihn zynisch an.
    »Gemeinsam werden wir jetzt den letzten Dienstag miteinander durchgehen, Lina. Oder besser gesagt: die Nacht von Dienstag auf Mittwoch. Ja, genau, jene Nacht.«
    Aufmerksam hörte sie ihm zu.
    »Diese Waffe hier«, sagte Fichtner, als er sie vorzeigte, »sollte es eigentlich gar nicht geben. Als mein Bruder tot aufgefunden wurde, lag eine Rast & Gasser auf dem Boden, und erst war noch unklar, ob es sich um Mord oder um Selbstmord handelte. Und auch du, Lina, hast dich darüber ausgeschwiegen. Dabei ist das hier ein Trommelrevolver mit ausschwenkbarer Walze, ein amerikanischer Colt zu sechs Schuss, und ich will verdammt sein, wenn du nicht von Anbeginn der ganzen makabren Posse an gewusst hast, dass sich Wilhelm nicht umgebracht haben konnte, da die Waffe ja nicht die seinige war.«
    Die Sinfonie hatte ihren Höhepunkt erreicht, ihre Töne waren in ein akkordisches Tutti übergegangen. »Ist es nicht so?«, schrie Fichtner, als er drei Schritte auf Lina zu machte. »Rück endlich mit der Wahrheit raus!« Die Maulschelle, die er ihr in seiner Rage verpasste, ließ sie mit voller Wucht über die Armlehne des Sessels auf den Boden fallen. Ihr Haar hatte sich gelöst, als ihr der Sektionsrat mit dem Fuß in die Bauchgegend trat und sie daraufhin wimmernd auf allen vieren über den Teppich kroch. Sie schluchzte vor Schmerz und vor Übelkeit. Ihr Mantel hatte sich geöffnet, und Fichtner betrachtete gleichgültig die nackten Brüste, die sonst nur sein Bruder gesehen hatte. Sein Bruder, der jetzt tot war.
    Oben drehte die Platte durch, der Schalltrichter des Grammofons schickte das verstärkte Geräusch der kratzenden Nadel durch die Zimmerfluchten.
    »Warnstedt hat mit dir telefoniert, um dir seine Hilfe anzubieten, da dich dieser Wissel angeblich bedrängt. Doch du hast abgelehnt mit der Begründung, selbst eine Waffe zu haben. Unbewusst hast du dich damit verraten, Lina. Die Ironie an der ganzen Sache: Der arme Cyprian hat das nicht einmal kapiert und erzählt es mir so nebenbei, als sei es irgendeine Belanglosigkeit aus den Kaffeehäusern.«
    Lina hatte sich inzwischen auf den Rücken gedreht und blickte zu ihrem Peiniger hoch. Sie machte keinen Versuch, die Vorwürfe zurückzuweisen.
    »Wilhelm hatte mir einen Brief nach Meran geschickt, und ich glaube jetzt zu wissen, was er von mir wollte. Weißt du es auch, Schwägerin? Weißt du es? Er wollte kein Geld, nein, mitnichten. Er war gar nicht in so großen finanziellen Schwierigkeiten, wie es den Anschein hatte. Nein, er wollte einfach meinen Rat als ehemaliger Polizist. Im Kriegsministerium war er zusammen mit Stephan Schrader für die Buchführung verantwortlich. Irgendwann in den letzten Wochen oder Monaten muss Wilhelm etwas an den Bilanzen aufgefallen sein. Etwas war merkwürdig, etwas stimmte nicht. Die Vorgehensweise bei der Unterschlagung war ganz einfach. Schrader führte ein Doppelexemplar der Kassenbücher, das er nach Dienstschluss ausfüllte und das die unausweichlichen Radierungen aufweist. Als eine kurzfristig anberaumte Geschäftsüberprüfung ansteht, will Schrader sein Exemplar sicherheitshalber noch einmal durchsehen. Er selbst hat mir vor dem Café Central verraten, dass sich letzte Woche eine Kontrolle angemeldet hatte. Doch als
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