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Sind wir bald da

Sind wir bald da

Titel: Sind wir bald da
Autoren: Clemens Haipl
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ausländerfeindlicher Stier lauert, der sich gerade nur sehr gut versteckt hat, und ich stehe auf einem zirka fünfzig Zentimeter breiten Grasstreifen. In Gummisandalen, in einem weißen Hemd, Shorts und mit einem Rucksack, aus dem Angelruten ragen, weil sie zu lange sind. Absteigen kam nicht infrage, zumindest nicht sehenden Auges. Mit geschlossenen Augen hätte ich mich eher getraut, das wäre aber auch nicht sehr vernünftig gewesen. Bin ich also mit dem Rucksack und den herausstehenden Angeln unter dem Elektrozaun durchgerobbt. Auch wenn ich mich wiederhole: sehr peinlich.
    Eine Weide, wie man sie sich vorstellt, nur vielleicht nicht an einem Strand in Spanien: Gras und Kuhfladen (da jetzt bloß nicht reinsteigen, nicht in Sandalen). Der Stier und seine Frauen waren gottlob nicht daheim. Vielleicht auf einer anderen Weide, bei Freunden zu Gast, was weiß man? Am Ende der Weide konnte ich feststellen, dass die Rückseite der Landzunge nicht sanft abfiel, sondern mindestens genauso steil war wie mein Anreiseweg, dafür aber doppelt so hoch. So ein Pech, heute funktioniert aber auch gar nichts. Ich entschied mich für den Weg querfeldein über die Kuhweide und kam nach nicht einmal einer Stunde zu einer Bucht, wo Einheimische ihre obszön langen Angeberruten zum sogenannten Brandungsfischen in den Sand gesteckt hatten. Das sah ich zumindest von oben. Von der fünfzig Meter hohen Klippe, auf der ich jetzt nämlich stand. Wieso und warum mich mein Weg über die Weide ausgerechnet hierher geführt hatte, ich weiß es nicht. Aber ich war plötzlich sehr müde. Also, same procedure as every year , weiter querfeldein und siehe da — nach einer weiteren halben Stunde habe ich dann tatsächlich einen Weg nach unten gefunden.
    War es ein demütigendes Schauspiel gewesen, an den Surfern vorbeizugehen, so war der Weg an den einheimischen Langruten vorbei ein Canossagang. Was rede ich, ein Spießrutenlauf. Fürchterlich. Ich mit meinen lächerlich kurzen Angelruten (die nur lang genug waren, um alle paar Meter aus dem Rucksack zu kippen), völlig overdressed, aber gut zerstochen, zerschürft und verschwitzt und der Sprache nicht mächtig, in der mich die erfahrenen Fischer wahrscheinlich gerade schmähten und ein blutiges Greenhorn hießen. Und zu Recht auch noch.
    Weil ich mich nicht an die Seite der Langruten traute, suchte ich mir am äußersten Ende der Bucht einen, wie ich meinte, unauffälligen und bescheidenen Felsen, auf den ich mich kauerte. Ich begann, mein Jagdwerkzeug auszupacken und scharf zu machen. Bei der Gelegenheit fiel mir die erste Angel ins Wasser. Die Angel, nicht der Haken mit der Schnur (das wäre noch vertretbar gewesen). Also runter vom Felsen, Angel bergen — patschnass (eine Sturzwelle hat sich erbötig gemacht, mich gewissenhaft von oben bis unten zu durchnässen). Macht nichts, Angel noch einmal auswerfen, diesmal Haken und Schnur (man nennt das aber trotzdem »Angel auswerfen«). Immerhin zwei bis drei Meter weit, nicht so schlecht bei dem Wind.
    Nach einer Minute etwa spüre ich Widerstand. Aha, mein erstes schuppiges Opfer. Alles wird gut. Also versuche ich, das Ganze einzukurbeln, und stelle fest, dass der Fisch entweder sehr viel größer ist als ich oder dass ich den Haken einem Felsen ins Fleisch getrieben habe. Letzteres stellte sich hurtig als richtig heraus. Da hilft nur eins — Schnur kappen. Jetzt ist eine ganze Menge wertvoller Nippes aus der Angelabteilung für immer verloren (Haken, Ösen, Karabiner, Schwimmer usw.). Wie ärgerlich.
    Noch einmal von vorne: Haken aus der Box fischen, Karabiner, einen zweiten Schwimmer habe ich nicht, alles verknoten und nach kaum zwanzig Minuten geht es schon wieder weiter. Auswurf: rund zehn Meter, immerhin, ich steigere mich. Ich hole eine gewaltige Alge an Land und überlege, ob es Zufall ist, dass man den Bakterien verseuchten Schleim, den Lungenkranke ausspucken, auch »Auswurf« nennt. Ich bin nicht unzufrieden, aber meine Erwartungen dürfen nicht als erfüllt gelten. Noch einmal, noch eine Alge. Eine noch größere. Runter vom Felsen, den Wirrwarr aus Schnur, Algen und Haken lösen. Da macht sich eine weitere Welle auf den Weg zu mir. Während ich groß schaue und zu einem Fluch ansetze, hat sie mich schon erwischt. Sie schmeckt salzig. Ein wenig nach Fisch.
    Jetzt packe ich meine Sachen und mache mich auf, ich will nach Hause. Nicht dass ich das Gefühl habe, völlig versagt zu haben, aber als ich an den Langruten vorbeigehe, will mir der
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