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Sind wir bald da

Sind wir bald da

Titel: Sind wir bald da
Autoren: Clemens Haipl
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neiderfüllten bärtigen Berggeist gemacht hätte. Ich habe mich mit meiner Angel und den Gummiwürsten unter ein Surfboard gekauert, habe die zwei Stunden Fahrt bis zum Revier meiner Wahl mannhaft ertragen. Irgendwie war ich der Überzeugung, dass sämtliche Fische des Atlantiks in diesem Moment wüssten, dass die nächsten Tage für sie keine Kinderjause werden würden.

Am nächsten Tag
    Behände und eifrig habe ich Knoten geknüpft, Haken eingefädelt und auch sonst allerlei Dinge getan, auf die ich vor wenigen Wochen noch nicht sehr stolz gewesen wäre. Nein, beschämt hätte ich mich selbst von guten Freunden abgewandt, wenn sie mir zu verstehen gegeben hätten, dass sie genau das zu tun beabsichtigen, was ich gerade tat. Gunki hatte bei einem seiner Surfausflüge eine Bucht ausgemacht, von der er meinte, ich könnte dort zu einem Fischer von Weltrang werden. Ich habe also meine neue und meine alte Angel (die hatte ich selbstverständlich aus Wien mitgenommen, ein sagenhaft trashiges Produkt, auf Amazon bestellt) in den Rucksack gepackt, dazu einen Plastikkoffer mit meinem neuen Spielzeug, und bin den Strand entlanggegangen auf der Suche nach Petris Heil und Fischs Verderben. Weil ich mich doch ein wenig geniert habe, habe ich mich bemüht, möglichst unauffällig zu wirken. Unter durchtrainierten Surfboys in Neopren-Anzügen fällt man aber doch auf, wenn man über dem Bierbauch ein Hemd trägt, darüber eine Regenjacke (wer weift, das Wetter könnte Umschlägen) und am Rücken einen voll gepackten Rucksack, aus dem alle paar Meter eine Angel kippt, weil er dafür einfach zu klein ist.
    Sehr peinlich berührt bin ich also etliche Hundert Meter an Hundertschaften von Surfern vorbeigeschlichen. Schließlich kam ich zu einer Landzunge, hinter der die Bucht der Fische liegen sollte. Dummerweise war es eine sehr hohe und sehr felsige Landzunge. Freilich, ich hätte sie umschwimmen können — wäre sie nicht viel zu lang gewesen und wäre ich nicht ein viel zu schlechter Schwimmer. Auch mein Outfit als stilbewusster Buchhalter machte klar, dass ich hier nicht den Rettungsschwimmer von Malibu geben würde. Links das Meer, vor mir die Landzunge und rechts ein fast senkrecht aufragender Felsen, der von Disteln überwuchert ist. Okay, wir haben ein Problem, Houston. Zurückzutrotten und den Beachboys und Surfern, die mit einem hämischen Grinsen wahrscheinlich genau darauf warteten, dass ich ihnen den Triumph des Tages beschere, kam gar nicht infrage. Also habe ich mich versichert, dass die Angeln einigermaßen im Rucksack verzurrt sind, und habe mich an die Erstbesteigung gemacht.
    Habe ich erwähnt, dass ich nicht schwindelfrei bin? Ich wurde nach sieben, acht Metern, die ich auf allen Vieren bewältigt habe, sehr direkt daran erinnert. Der Blick hinunter machte mich sicher: Da komme ich nicht mehr runter. Nach oben waren es aber auch noch zirka zehn Meter. Blöd. Die Füße in Gummisandalen, die Hände in Grasbüschel gekrallt ( jaaa , es gab da ein paar, unter den Disteln) hockte ich in meinem nicht mehr sehr weißen Hemd, Hände und Füße zerstochen, unter der Regenjacke, die ich aus Gründen angezogen hatte, die mir nicht mehr einfallen wollen, völlig verschwitzt in der Mitte eines Felsens und malte mir die Schlagzeile aus: »Deutscher Tourist überschätzt seine Fähigkeiten (Stichwort >falsches Schuhwerk<) und stürzt von Felsen«. Nein, das wollte ich nicht. Also musste ich weiter, weiter nach oben. Der Berg ruft, auch wenn er ein kleiner ist.
    Ich habe noch nie so bewusst und konzentriert darauf geachtet, wo ich meine Füße hinsetze, weil ich bei jedem Schritt (genauer, bei jedem Schritt meiner Hinterfüße — ich ging ja auf allen Vieren) damit rechnen musste, auf den Strand hinunterzustürzen und von meinen eigenen Angeln aufgespießt zu werden. Kein würdiges Ende. Also weiter, Schritt für Schritt. Besser Disteln im Fleisch als den Abgrund vor Augen. Und beides besser als der freie Fall. Gott sei Dank konnte ich mir selbst nicht zuschauen — ich hätte mich sehr für mich geniert, ich hätte geleugnet, mich zu kennen.
    Einige Disteln und scharfe Felskanten später war es vollbracht — ich war oben! Oben, wo die Freiheit lacht, wo sich die Natur von ihrer schönsten Seite zeigte, wo der endlose Fels in eine saftige Kuhweide überging, die von einem Elektrozaun umzäunt war. Das ist jetzt aber blöd. Hinter mir der Abgrund, vor mir ein Elektrozaun, hinter dem bestimmt ein aggressiver und
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