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Sind wir bald da

Sind wir bald da

Titel: Sind wir bald da
Autoren: Clemens Haipl
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Das Wappen zeigt drei goldene Jakobsmuscheln, wie sie einst die Jakobs-Pilger auf ihren Kleidern auf genäht hatten. Darüber befindet sich ein schwarzer Sparren, der an einen Hausgiebel erinnert und die Siedlungsbezeichnung »Haus« symbolisiert.
    Na bitte: Einödhof, Pilger... klingt doch ganz passabel. Muss mir das mal in Ruhe ansehen.
    Ich habe vergessen, dass ich heute zum Internisten muss. Ich habe erhöhten Blutdruck, und es ist nicht auszuschließen, dass ich einen verfrühten, völlig würdelosen Tod erleiden werde. Ich will das nicht, also Abgang zum Internisten. Seine Sprechstundenhilfe muss er von seinem Vater, der sicher auch Arzt war, übernommen haben. Als Erbstück oder eine Art Leibrente, was weiß ich. Freiwillig setzt man sich so einen Drachen nicht in die Ordination. Das möchte ich rundheraus ausschließen. Zumal der Arzt und seine Assistentinnen nett und hübsch sind und, soweit ich das beurteilen kann, auch kompetent. Aber die Sprechstundenhilfe... mein lieber Herr Gesangsverein.
    An ihrem Tisch staut sich eine Schlange, die bis zur Eingangstür reicht, ich schätze zehn Personen. Eine illustre Mischung aus starken Raucherinnen und Trinkerinnen und ein wunderschönes älteres Ehepaar aus der Neigungsgruppe »Wir sehen aus wie die Klestils oder Waldheims«. Er in ordentlichem Anzug, hochroter Kopf und ganz offensichtlich schon an dem einen oder anderen Herzinfarkt vorbeigeschrammt. Sie im feinsten Trachtenkostüm, eine Frisur, für die sich ihr Coiffeur bestimmt große Mühe gegeben hat (vielleicht hat er sie aber auch nur ausgelacht), und sehr eifrig bemüht, den Eindruck zu vermitteln, dass die beiden, vor allem aber sie, nur durch eine Verkettung unglücklicher Zufälle oder eine üble Laune Gottes in dieser elenden Proletengegend gelandet sind. Vielleicht waren sie mit ihrem Mercedes Arbeiter schauen, wie früher die Familien in Gänserndorf im Safaripark. Sie wollten einfach einmal raus aus Hietzing und etwas anderes erleben. Also sind sie ins Auto gestiegen, um Hackler und Proleten in ihrem natürlichen Umfeld zu beobachten. Sie hat ein paar Leberkässemmeln gekauft, obwohl sie weiß, dass das Füttern verboten ist (zumal aus dem Auto), und justament hier, in dieser Ungegend, ist ihnen dann das Auto eingegangen. Er hat sich darob sehr erregt, und weil kein anderer verfügbar war, muss man eben jetzt mit dem Buschinternisten vorliebnehmen.
    Der Ordinationsdrache scheint einen Anflug von Respekt vor der Trägerin der Edith-Klestil-Memorialfrisur zu haben, denn sie darf sich nicht nur schamlos an der Menschenschlange vorbeidrängeln, sie wird sogar einigermaßen menschenwürdig behandelt. Wahrscheinlich kennt man einander noch aus besseren Tagen, als der Herr Doktor noch ordinierte. Also der »richtige Doktor, Sie wissen schon, der Vater...«
    Eine andere Dame, die sich in gebrochenem, aber völlig ausreichendem Deutsch zu verständigen weiß, hat es nicht so gut. Auf ihre berechtigte Frage, wo denn wie denn was auf dem Formular auszufüllen sei, keift der Drache: »Steht eh alles da. Lesen !« Die Dame gehorcht bescheiden, füllt aus und hält dem Drachen den Wisch nach ein paar Minuten vor sein Feuer speiendes Maul. Der blickt über den Brillenrand, mustert die ersten Zeilen und bellt: » Faaalsch !« Selbstredend wird der Prüfling trotz seiner geschätzten sechzig Jahre wie ein Schulbub mit einer entsprechenden Geste an das Ende der Schlange zurückbeordert. Vermutlich damit sie Zeit hat, darüber nachzudenken, wie man Formulare richtig ausfüllt, ohne dass man der heiligen Wächterin der Ordination auf den Sack geht. Ist ja ein Wahnsinn hier.
    Es klopft an der Tür. Der automatische Türöffner scheint defekt zu sein. Meine neue Freundin, die Ordinationshilfe, ruft kopfschüttelnd: »Drücken !« Zu den Umstehenden sagt sie: »Das kann doch nicht so schwer sein, oder ?« Von draußen dringt ein dumpfes »Es geht aber nicht«. Sie bläst zurück: » Drü-cken . Was ist daran so schwer? Drüüüückenü !!!« Ein Herr aus der Schlange erbarmt sich, schert aus und öffnet die Tür. Selbstverständlich scheitern auch die nächsten drei, vier Patienten an der verschlossenen Tür, weil der Türöffner tatsächlich defekt ist und nicht die Menschen zu blöde, eine Türe aufzudrücken. Das scheint mir offensichtlich. Nicht so der gestrengen Herrscherin: »Drücken!! Soll ich eine Einschulung machen ?« Das gefällt mir. Menschen jeden Alters wie Vollidioten zu behandeln, ihnen zu unterstellen,
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