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Simsala. Die Geschichte Eines Kleinen Zauberers.

Simsala. Die Geschichte Eines Kleinen Zauberers.

Titel: Simsala. Die Geschichte Eines Kleinen Zauberers.
Autoren: Georg Dreißig
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Schlangenkopf hervor. Dem Kopf folgte ein schlanker Leib, der sich in immer größeren Schleifen über das Blatt ringelte, bis er fast an allen Seiten den Rand berührte. Da schnippte Simsala leise mit den Fingern, und das goldene Schlänglein legte sich hin und muckste sich nicht mehr. »Was für ein prachtvolles L«, lobte Herr Martin, der zu dem kleinen Zauberer getreten war. »Aber unsere liebe Ruth hat ganz vergessen, ihr L fertigzumalen.«

    Ruth wollte dem Lehrer erklären, warum sie es vergessen hätte. Aber ihr fehlten die Worte. Mit rotem Kopf beugte sie sich wieder über ihr Blatt.
    »Nun wollen wir noch das S schreiben«, gab Herr Martin jetzt bekannt und wandte sich wieder zur Tafel. Er malte eine wunderschön geschwungene S-Linie, und die Kinder nahmen ein neues Blatt, griffen wiederum zu ihren Stiften und begannen, den Buchstaben abzumalen. Nur in der ersten Reihe passierte erst einmal gar nichts. Simsala betrachtete seine schlafende goldene L-Schlange, und Ruth betrachtete Simsala.
    Endlich wurden sie von Herrn Martin überrascht, der leise hinter sie getreten war. »Was fehlt euch beiden denn?«, wollte er wissen. Ruth wurde wieder rot, der kleine Zauberer aber flüsterte: »Sie sollte noch etwas schlafen. Aber jetzt ist's genug.« Damit strich er dem goldenen L vorsichtig mit dem Zeigefinger über den Rücken. Da kam Leben in den Buchstaben. Er begann sich zu winden und zu drehen. Das goldene Schlänglein löste sich aus der L-Schlinge, richtete sich auf und schaute für einen Augenblick mit Kopf und Schwanzspitze über den Rand des Papiers hinaus. Da aber gab ihm Simsala einen leichten Schlag mit dem Finger auf die Nase, dass es sich schnell wieder auf das Blatt zurückzog, wo es endlich in einem herrlichen goldenen Schwung zur Ruhe kam.
    Für einen Augenblick hatte auch der Lehrer vergessen, wo er war. Als das goldene Schlänglein aber so still auf dem Papier lag, als wäre es nichts anderes als ein großes geschwungenes S, erwachte er wieder.
    »So geht das aber nicht«, sagte er ernst zu dem kleinen Zauberer, »du sollst doch die Buchstaben malen lernen. Goldschlangen können wir in der Schule nicht gebrauchen.«
    Simsala schaute betreten auf sein Blatt. »Entschuldigung, Herr Martin«, flüsterte er, »ich wollte es nur recht machen.«
    Ohne aufzublicken, schnippte er wieder leise mit den Fingern. Da regte sich die goldene Schlange, wand sich einmal um sich selbst und huschte dann von dem Papier herunter. Nach einem kurzen Zögern ließ sie sich vom Rand des Tisches auf den Boden fallen und war im nächsten Augenblick unter dem Türspalt verschwunden. Mit Gejohle sprangen da die Erstklässler auf und wollten dem Schlänglein nachsetzen. Aber als sie die Tür aufrissen - Herrn Martins »Auf die Plätze!« hatten sie gar nicht gehört -, war von dem Tierchen nichts mehr zu sehen. Es kostete den Lehrer einige Kraft, sich zu entschließen, mit dem Schreiben noch eine Weile fortzufahren. Die Kinder mussten noch ein M und ein B malen, und Ruth durfte Simsalas Hand führen, damit er es auch richtig machte. Als Herr Martin dann die krakeligen Buchstaben auf den Blättern des kleinen Zauberers anschaute, war er erleichtert. Ja, so war's recht.
    »Die darfst du deinem Vater zeigen«, sagte er anerkennend.
    Simsala zuckte nur mit den Schultern. Er schien von der Vorstellung nicht sonderlich angetan zu sein. Herr Martin sah, wie er die Blätter, ehe er sie beiseitelegte, kurz ausschüttelte.
    »Warum das?«, fragte er den kleinen Zauberer und nahm die Blätter noch einmal zur Hand. Da waren sie genauso weiß wie am Anfang der Stunde. »Schade!«, meinte der Lehrer.
    »Ach, ich kann's ja einfach neu machen«, entschuldigte sich Simsala, »aber beschriebenes Papier findet Papa unordentlich.«
    Herr Martin seufzte. Wie anders waren doch die Verhältnisse, wenn man einen Zauberer zum Vater hatte! Für einen Augenblick überlegte er, ob er Simsala nach der Stunde nicht alle Blätter der Kinder zum Ausschütteln geben sollte. Aber dann würde der kleine Zauberer noch schwerer begreifen, wie es in der gewöhnlichen Welt zuging. Der Lehrer verzichtete auf die Idee.

Und ob die Trompeten schmettern!
    »Legt eure Blätter und Stifte beiseite, und steht auf!«, rief Herr Martin.
    Die Erstklässler kramten eine Weile herum, dann standen sie hinter ihren Stühlen und schauten ihren Lehrer erwartungsvoll an.
    »Wir wollen ein neues Lied lernen«, verkündete Herr Martin, »das heißt, eigentlich ist es ein ganzes
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