Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silo: Roman (German Edition)

Silo: Roman (German Edition)

Titel: Silo: Roman (German Edition)
Autoren: Hugh Howey
Vom Netzwerk:
die Welt, in der sie lebte, in der
sie alle lebten. Durch das klare Visier ihres Helms sah sie es deutlich vor
sich: Die Wolken zogen wütend und grau dahin, Staubwirbel fegten dicht über den
Boden, die zerklüfteten Felsblöcke sahen aus, als hätte sie jemand aus einem
größeren Stück herausgeschnitten, vielleicht mit derselben Maschine, mit der
diese Hügel angelegt worden waren.
    Auf der Kuppe
pausierte sie kurz und sah sich um. Hier oben war der Wind ziemlich stark, und
sie war ihm ausgesetzt. Sie stellte ihre Stiefel weit auseinander, um nicht
umgestoßen zu werden, und starrte in die Senke vor sich, auf das flache Dach
ihres alten Zuhauses. Sie verspürte gleichermaßen Vorfreude und Angst. Die
Sonne ging gerade erst über den Hügeln in der Ferne auf, und der Turm mit den
Linsen lag unter ihr im Schatten, dort war noch Nacht. Sie würde es schaffen.
Bevor sie den Hügel hinunterging, betrachtete sie verwundert die Reihe der
Hügel und Senken, die sich bis zum Horizont erstreckten. Genau wie auf dem
Plan, gleichmäßig angelegte Senken, fünfzig Stück.
    Und mit einem Schlag
wurde ihr bewusst, dass zahllose Menschen dort ihre Tage verbrachten. Dort lebten überall Menschen. Da waren noch mehr Silos, außer ihrem und Solos.
Silos, deren Bewohner von nichts ahnten, in denen die Menschen aufwachten, zur
Arbeit oder zur Schule gingen, vielleicht sogar zur Reinigung verurteilt worden
waren.
    Sie drehte sich auf
der Stelle im Kreis, nahm alles in sich auf und fragte sich, ob da draußen in
dieser Landschaft womöglich noch jemand herumlief, in diesem Moment, in einem
ähnlichen Anzug. Wenn sie hätte rufen können, hätte sie es getan. Wenn sie all
den Linsen in sämtlichen Silos hätte zuwinken können, sie hätte es ebenfalls
getan.
    Die Welt bekam aus
dieser Höhe eine neue Dimension, eine neue Größe. Ihr Leben hätte bereits vor
Wochen ein Ende gefunden haben sollen – und wenn nicht auf dem Hügel vor ihrem
alten Zuhause, dann spätestens in den überfluteten Tiefen von Silo siebzehn.
Aber es war nicht zu Ende gegangen. Stattdessen würde es wahrscheinlich hier enden,
heute Morgen, zusammen mit Lukas, der ebenfalls sein Leben verlor. Wenn ihr
Gefühl sie nicht trog, dann würden sie gemeinsam in der Luftschleuse
verbrennen. Oder sie konnten sich zwischen diese Hügel legen und zusammen
verwittern wie ein Paar. Ein Paar, dessen Verbindung aus verzweifelten
Gesprächen in der Nacht erwachsen war, eine intensive Bindung zwischen zwei
gestrandeten Seelen.
    Juliette hatte sich
geschworen, nie wieder heimlich zu lieben, überhaupt nie wieder zu lieben. Und
diesmal war es noch schlimmer: Sie hatte es ihm nicht einmal gestanden. Nicht
einmal sich selbst .
    Eine heftige Windbö
ergriff sie und hätte ihr fast die zusammengefaltete Decke entrissen. Juliette
richtete sich auf und begann mit dem Abstieg zu ihrem Heimatsilo. Sie folgte
der Spalte, die entstand, wo zwei Hügel aneinanderstießen, sie schob sich an
dem traurigen Anblick eines Paars vorbei, das ihr den schicksalhaften Weg nach
Hause wies.
    * * *
    Sie
kam zeitig an der Rampe an. In der Landschaft war niemand zu sehen, die Sonne
war immer noch nicht hinter den Hügeln hervorgekommen. Sie ging die Schräge
hinunter und fragte sich, was die Menschen drinnen wohl denken würden, wenn sie
zufällig zu dieser Tageszeit vor einem der Monitore saßen und sahen, wie sie
auf den Silo zugestolpert kam.
    Am Fuß der Rampe
stellte sie sich neben die schweren Stahltüren und wartete. Sie überprüfte die
Decke, die Solo aus Klebeband geschweißt hatte, und ging den Ablauf noch einmal
im Kopf durch. Es würde funktionieren, sagte sie sich. Der einzige Grund, warum
zuvor niemand eine Reinigung überlebt hatte, war, dass es hier draußen keine
Werkzeuge oder Hilfsmittel gegeben hatte. Und genau die hatte sie jetzt dabei.
    Die Zeit schien
überhaupt nicht zu vergehen. Der Dreck, der an die Ränder der Rampe geweht wurde,
bewegte sich unruhig hin und her, und Juliette fragte sich, ob die Reinigung
womöglich abgesagt worden war, ob sie hier draußen nun allein sterben würde.
Das wäre wahrscheinlich besser, sagte sie sich. Sie atmete tief ein und
wünschte sich, sie hätte mehr Luft mitgebracht, genug, um wieder zurückzugehen,
nur für den Fall.
    Nach langen Minuten
des angespannten Wartens hörte sie drinnen ein Geräusch – das Kratzen von
Metall.
    Juliette bekam
Gänsehaut auf den Armen, ihr schnürte sich die Kehle zu. Es war so weit. Sie
trat einen Schritt vor und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher