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Silentium

Silentium

Titel: Silentium
Autoren: Wolf Haas
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es schon egal.»
    «Kann man gleich die ganze Puppe zerfetzen.»
    «Vielleicht solltest du ihm jetzt doch langsam den Knopf aufmachen», hat der Brenner gesagt. «Die Tasche ist ja schon ganz blau.»
    «Mach sie ihm doch selber auf», hat der René getrotzt.
    Aber der Brenner hat nicht darauf reagiert. «Wie kommst du eigentlich hier herunter?» hat er ruhig gefragt.
    «Ich verstecke mich schon seit Tagen hier. Ich bin halb verhungert.»
    Der Brenner hat nicht viel Mitleid gezeigt. Ihm ist jetzt selber so kalt geworden, als hätte er in Eiswasser geduscht, und sein Gewand hat einen regelrechten Regenguß von sich gegeben, so hat er auf einmal gezittert.
    «Dieser Drecksack hätte dich da drinnen glatt verbrannt.»
    «Verbrennen und ertrinken in einem», hat der Brenner gesagt. «Wo man sonst immer diskutiert, was der schrecklichere Tod ist.»
    Er hat versucht aufzustehen. Aber sein Tausendkilo-Gewand hat ihn auf der Holzbank regelrecht festgeleimt. «Ich glaube, das würde uns jetzt als Selbstjustiz ausgelegt, wenn wir ihm nicht den Knopf aufmachen.»
    «Und ich bin nur auf Bewährung heraußen. Die fünf Jahre für Selbstjustiz wäre es mir ja wert. Aber um die drei Bewährungsmonate täte es mir leid.»
    «Dann würde ich ihm jetzt schnell den Knopf aufmachen», hat der Brenner geantwortet.
    Aber der René hat sich nicht von der Stelle gerührt.
    «Andererseits muß ich immer an seine Frau denken», hat der Brenner jetzt selber zu bedenken gegeben. «Die schaut sowieso schon den ganzen Tag ziemlich traurig aus der Wäsche.»
    «Wenn du mit dem Typen verheiratet bist.»
    «Er hat ihr fünf Kinder angehängt, und dann ist sie noch schuld, daß er nicht Priester geworden ist.»
    «Für die wäre es besser, wenn wir ihm den Knopf nicht aufmachen.»
    Der Brenner hat mit den Schultern gezuckt. «Wenn er zehn Jahre ins Gefängnis kommt, kann sie sich weiter für ihn aufopfern und kriegt überhaupt kein Geld. Und als Witwe kriegst du vom Staat eine gute Pension.»
    «Du meinst, wir könnten es vielleicht als Notwehr hindrehen», hat der René versucht, ein bißchen die Überlegungen vom Brenner zu interpretieren.
    «Notwehr mit Plastiktasche klingt nicht übertrieben glaubwürdig.»
    «Oder wenigstens Notwehr-Überschreitung.»
    «Notwehr-Überschreitung», hat der Brenner sinniert. «Das könnte sich eventuell ausgehen. Wenn du einen guten Anwalt hast.»
    «Kennst du einen guten?»
    «Einen Anwalt finden wir schon.»
    «Aber ich hab keine Rechtsschutzversicherung.»
    «Das ist schlecht. Eine Rechtsschutzversicherung sollte jeder Mensch haben.»
    Ich sage immer, die Menschen diskutieren und diskutieren, und inzwischen geht die ganze Entwicklung an ihnen vorbei. Weil die Tasche über dem Kopf vom Präfekt Fitz war jetzt sowieso schon so blau,
Kleider-Bauer-
Tasche nichts dagegen! Und da hätte es inzwischen sowieso wahrscheinlich nichts mehr genützt, wenn sie ihm die Tasche heruntergenommen hätten, also die ganze Diskussion im Grunde reines Blabla.
    «Dann mach ich ihm jetzt den Knopf auf», hat der René gesagt und sich zum Präfekt Fitz hinuntergebeugt.
    «Diesen Knopf hab ich eigentlich nicht gemeint», hat der Brenner gemurmelt, aber gar so heftig ist sein Widerspruch nicht gewesen. Weil der René hat dem Präfekt nicht den Knopf der Plastiktasche aufgemacht, sondern den Hosenknopf.
    «Den Reißverschluß mach ich ihm auch noch auf.»
    Der Brenner hat genickt: «Dann mußt du ihm aber die Hände auch losbinden.»
    «Was du nicht sagst.»
    «Und schau gut, ob er keine Wunden an den Handgelenken hat.»
    «Keine Wunden. Ich hab ihn ja erst angebunden, wie er schon nachgegeben hat.»
    «Und mich hast du inzwischen noch kochen lassen?»
    «Was heißt kochen? Ich hab doch das heiße abgedreht und das kalte aufgedreht.»
    «Ich hab geglaubt, das war nur Einbildung, daß es auf einmal so eiskalt geworden ist.»
    «Die Eier muß man ja nach dem Kochen auch abschrecken», hat der René gelacht.
    «Sehr witzig.» Bei dem Thema ist dem Brenner gleich noch ein bißchen kälter geworden, sprich neuer Gewand-Regenguß auf den Fliesenboden hinunter vor lauter Schüttelfrost.
    Der René hat jetzt die Hände des Toten genommen und sie in die Unterhose gesteckt, die unter dem geöffneten Reißverschluß zum Vorschein gekommen ist. «Ich weiß auch nicht, in letzter Zeit ist das die reinste Mode», hat er geseufzt. «Damit die Leute mehr Spaß bei der Selbstbefriedigung haben, strangulieren sie sich nebenbei oder setzen sich eine
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