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Silentium

Silentium

Titel: Silentium
Autoren: Wolf Haas
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Jahre Reingewinn unserer Agentur verschlungen. Glauben Sie, das kann man aus den Schillingspenden von irgendwelchen Rentnerinnen bezahlen?»
    «Sie wollten etwas für den Priesternachwuchs tun, wenn Sie schon selber versagt haben.»
    «Mein ältester Sohn ist jetzt zwölf. Er spürt die Berufung.»
    «Und die Mädchen haben Ihnen nicht leid getan?»
    «Das ist das allerschlimmste», hat der Präfekt gesagt. «Denen hat das Spaß gemacht.»
    Wenn jetzt der harte Gegenstand eine Pistole gewesen wäre, hätte der Brenner den Präfekt wahrscheinlich erschossen. Aber es war keine Pistole. Je mehr Taschen der Brenner herausgezogen hat, um so weicher ist der Kern geworden. Und am Schluß war es dann doch nur die allerletzte Plastiktasche, die so fest zusammengepreßt war, daß es sich bis zuletzt angefühlt hat, als würde sich was darin verbergen.
    «Wieso haben Sie sich eigentlich da drinnen umgezogen, wenn Sie doch heraußen so viel Platz gehabt hätten? Sie sind ja eigens noch einmal zurück», hat der Brenner auf die Wasserlachen zwischen der Kabine und den Armaturen gedeutet, «nachdem Sie heraußen das Wasser abgedreht haben.»
    «Die Macht der Gewohnheit. Diese Garderobekästchen gibt es nur hier in den drei Präfektenduschen. In den Knabenduschen hinten sind früher Gummibeutel gehängt, in denen man die Kleidung während des Duschens aufbewahren konnte. Es war nicht gern gesehen, daß die Knaben nackt herumlaufen.»
    «Die Verführung», hat der Brenner genickt.
    «Es ist übrigens noch was drinnen», hat der Präfekt auf das Garderobetürchen gedeutet. «Etwas, das Ihnen einiges erklären wird.»
    Der Brenner hat einen Schritt in die immer noch dampfende Duschkabine gemacht und das schmale Garderobetürchen geöffnet. Und nach der leeren Plastiktasche gleich die nächste Enttäuschung. Weil im Garderobekästchen hat sich auch nichts verborgen. Aber so ist es im Leben. Oft, wenn du zu angestrengt nach etwas Ausschau hältst, übersiehst du, daß sich hinter deinem Rücken die interessantesten Dinge abspielen. Jetzt hat der Brenner ein bißchen zu spät bemerkt, daß der Präfekt die Duschkabine zugesperrt hat.
    Zuerst hat er sich noch Gedanken darüber gemacht, warum man die Tür von außen zusperren kann. Aber dann hat er schon den Präfekt draußen das Wasserrad drehen gehört. Und kurz darauf hat er das Wasser schon heranrauschen gehört, und kurz darauf hat er das Wasser schon gespürt, und kurz darauf hat der Brenner sich gedacht, der Präfekt hat nur das rote Rad aufgedreht, der hat vollkommen auf das grüne Rad vergessen.
    Und wie es dann noch wärmer geworden ist, hat der Brenner sich gedacht, wärmer darf es jetzt aber nicht mehr werden. Du mußt wissen, daß der Brenner sowieso schon nicht der Größte war, den Frauen hat sein Quadratschädel gefallen, seine Pockennarben, seine zentimetertiefen Wangenfalten, seine komischen blauen Augen, und wenn eine unbedingt eine starke Schulter gesucht hat, der Brenner hat zwei davon gehabt. Aber für seine Größe ist er noch nie berühmt gewesen, und da hat er nicht unbedingt zu heiß gewaschen werden und womöglich dadurch eingehen wollen.
    Und ob du es glaubst oder nicht, bevor er gespürt hat, daß das Wasser den Siedepunkt erreicht, hat er es gehört. Weil das siedende Wasser hat in den alten Rohren gearbeitet, daß der Brenner richtig Mitleid mit den Rohren gekriegt hat. Und er hat richtig Mitleid mit den Fliesen und mit der weißen Kabinentür gekriegt, auf die das siedende Wasser von seinem Körper weggespritzt ist.
    Über den Brenner kann man viel Schlechtes sagen, aber eines muß ich ihm lassen, er war kein Mensch, der zu übertriebenem Selbstmitleid geneigt hat. Weil die Kabine war so eng, daß kein Entkommen war vor dem wunderbar breiten Brausestrahl, und der Duschkopf an der Decke war so massive Vorkriegstechnik, daß er nicht zu ruinieren war. Wie er in den Händen vor lauter Brandblasen schon kein Gefühl mehr gehabt hat, hat er es auch eingesehen.
    Und jetzt hat er doch noch Selbstmitleid mit seinen Füßen bekommen, daß er zu hüpfen angefangen hat wie dieser Amerikaner in den alten Filmen, wo die Schuhe immer so geklappert haben.
    Und jetzt hat er doch langsam Selbstmitleid mit seinem viel zu breiten Rücken bekommen, weil egal, wie flach er sich mit dem Bauch an die Wand gedrückt hat, sein Rücken ist trotzdem verbrüht worden, daß der Brenner vor Selbstmitleid gejault hat. Und zum erstenmal in seinem Leben hat er sich gewünscht, daß er
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