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Silbertod

Silbertod

Titel: Silbertod
Autoren: F E Higgins
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von Urbs Umida und begrub stattdessen einen mit Sand gefüllten Sarg. Am fünften Tag seines Schlafes erwachte Goddfrey, inzwischen vollständig ausgeruht, auf dem Operationstisch in einem Hörsaal. Ein funkelndes Skalpell schwebte über seinem Kopf, und der Chirurg wollte gerade die Klinge in Goddfreys Brustkorb senken. (Seltsamerweise beeindruckte Goddfrey dabei am meisten das sich in der Klinge spiegelnde Licht, sodass ihm in späteren Jahren bei ähnlichen Lichtreflexen jedes Mal unangenehme Erinnerungen kamen.) Auf diese Weise neu belebt, gelang es ihm, sein ganzes bisschen Kraft zusammenzuraffen und einen leisen Pfiff auszustoßen.
    »Ich denke, Eure Leiche ist lebendig!«, rief einer der Zuhörer, ein Medizinstudent, der damit seinen Ruf festigte, das Offensichtliche offensichtlich zu machen. Goddfrey wurde nach Hause zu seinen trauernden Eltern gebracht, die ihn mit offenen Armen begrüßten, obwohl sie nicht recht verstanden, wie er aus dem Grab auf den Operationstisch gekommen war. Das war beileibe nicht die Reise, auf der sie ihn vermutet hatten, doch allzu lange dachten sie nicht darüber nach, und in ein paar Tagen war Goddfrey wieder der Alte.
    Nun, nicht ganz. Die merkwürdige Krankheit hatte etwas hinterlassen: Gesichtslähmung. Der arme Goddfrey konnte seine Gesichtsmuskeln nur noch eingeschränkt bewegen, mit dem Resultat, dass sein Ausdruck (schläfrig) immer blieb, wie er war. Er konnte weder lächeln noch die Stirn runzeln, weder lachen noch weinen – zumindest nicht so, dass es auf Anhieb zu erkennen war –, und sprechen konnte er nur durch die Zähne.
    Nachdem er im letzten Moment dem Messer des Chirurgen in der Anatomieschule entkommen war, beschloss Goddfrey, dass niemandem passieren sollte, was ihm beinahe passiert wäre. Er ging bei dem örtlichen Bestattungsunternehmer in die Lehre, und als sein Meister starb, übernahm er dessen Betrieb. Im Lauf der nächsten Jahre erlangte Goddfrey Gaufridus den Ruf eines zuverlässigen Mannes, der niemals einen Lebenden beerdigen würde. Das lag hauptsächlich daran, dass er viel Zeit und Mühe darauf verwandte, sich davon zu überzeugen, dass die ihm Überantworteten eindeutig tot waren.
    Es klingt vielleicht merkwürdig, aber man darf nicht vergessen, dass es zu Goddfreys Zeit nicht so einfach war festzustellen, ob ein Mensch tatsächlich für immer aus dem Leben geschieden war. Ein Arzt hatte dafür kaum andere Möglichkeiten, als mithilfe eines Spiegels zu prüfen, ob der Betreffende noch atmete, oder auf einen oft unbestimmbaren Herzschlag zu horchen. Während Goddfrey in seiner scheinbarenBewusstlosigkeit lag, hatte er sich immer wieder mit dem einen Gedanken beschäftigt: Wenn doch nur jemand eine Methode entwickelt hätte, eine Art Gerät, mit dem sich eindeutig bestimmen ließe, ob er lebendig war oder nicht. Viel Leid wäre ihm erspart geblieben. Damals hatte er sich geschworen, dass er, sollte er je wieder ins Leben zurückkehren, dieser Jemand sein würde.
    So hatte er seine Bestimmung entdeckt. Doch Beerdigungen zu organisieren und nebenbei Erfindungen zu machen erwies sich als äußerst belastend und Goddfrey fand, dass er einen Gehilfen brauchte, und stellte ein kleines Schild ins Fenster. Da Pin lesen konnte – eine Fähigkeit, die ihm seine Mutter beigebracht hatte –, war er der einzige Bewerber auf die Stelle.
    Am vereinbarten Tag führte Mr Gaufridus Pin im Haus herum. Im Laden, der zur Straße hin lag, waren sowohl die teuersten als auch die preiswertesten von Mr Gaufridus’ Sargmodellen ausgestellt. Sie ließen sich durch den mehr oder weniger vorhandenen Glanz des Holzes und der Beschläge ohne Weiteres voneinander unterscheiden. In einem großen doppeltürigen Schrank hielt er eine Auswahl an Sachen vorrätig, die man für die Beerdigung mieten konnte, wie Sargtücher, dunkle Anzüge, Schleier und schwarze Handschuhe, Federbüsche für die Pferde, Einladungskarten zur Trauerfeier und passende Ringe – natürlich in Form von Totenschädeln.
    Zuletzt führte Mr Gaufridus Pin in einen Kellerraum, an dessen Wänden weitere Särge in allen möglichen Formen, Größen und Farben sowie in unterschiedlichen Stadien derFertigstellung lehnten. In der Mitte des Raums stand eine stattliche Werkbank, auf der Hämmer, Nägel, Latten und verschiedene Zimmermannswerkzeuge verstreut lagen. Der Boden war voller Hobelspäne, Holzabfälle und Sägemehl. Die Wände waren bestückt mit einer umfangreichen Auswahl an Messing- und anderen
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