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Silbertod

Silbertod

Titel: Silbertod
Autoren: F E Higgins
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wieder zu öffnen. Das Wasser des Foedus versetzte ihn zusammen mit der nachhaltigen Wirkung des Schlafmittels in eine Art Zwischenwelt. Er sah, dass die Kerze wieder angezündet worden war, und an den Stimmen erkannte er, dass die Gesellschaft aus dem alten Mann, dem Mädchen und einem jüngeren Mann bestand (der Letztere sprach wie einer aus der Südstadt). In seinem gegenwärtigen Zustand konnte Pin nicht viel tun. Er blieb also liegen und beobachtete fasziniert das merkwürdige Schauspiel, das sich ihm da bot.

Kapitel 2

    Gespräch am Grab
    N
och vor wenigen Stunden war Pin im vollen Besitz seiner Geisteskräfte gewesen. Nach einem spärlichen Abendessen, bestehend aus Bier, Brot und einem Stückchen Fisch, hatte er sein möbliertes Zimmer in der Old Goat’s Alley verlassen und war durch einen Hagelschauer gerannt, der sich rasch in Schnee verwandelt hatte. Pin war jedes Mal froh, wenn er dieser Straße den Rücken kehren konnte. Old Goat’s Alley galt als die schlechteste Straße südlich des Foedus – eine erschreckende Vorstellung, wenn man den Zustand der übrigen Straßen kannte. Während andere Straßen vielleicht doch ein oder zwei positive Eigenschaften besaßen wie etwa ein leichtes Gefälle, um das allgegenwärtige Schmutzwasser abfließen zu lassen, oder eine gleichmäßigere Verteilung der Schlaglöcher, so gab es nichts, was man zugunsten von Old Goat’s Alley hätte sagen können.
    Die hohen, schmalen Häuser waren schlecht geplant, hastig erbaut und wahllos in jeden freien Winkel gezwängt. Die Räume waren so oft geteilt und nochmals unterteilt worden, dass mittlerweile jedes Haus einem Labyrinth glich. DieserUmstand sowie die zahlreichen Ein- und Ausgänge und die engen Gässchen hinter den Häusern machten der Polizei die Arbeit schwer, wenn Kriminelle verfolgt werden mussten. Die Häuser standen leicht vornübergebeugt, was Grund zur Besorgnis bot, wenn man an ihnen emporblickte. Außerdem brachte es diese Schräglage mit sich, dass der Schnee in regelmäßigen Abständen auf die Straßen hinunterrutschte. Doch hoben ohnehin nur wenige Menschen den Blick, jeder war gedrückt von seiner Sorgenlast (und zudem ständig auf der Hut vor Taschendieben). Old Goat’s Alley war schlecht beleuchtet und bot daher eine ideale Zufluchtsstätte für Verbrecher aller Art. An manchen Abenden erschienen die Laternenanzünder überhaupt nicht, und auch wenn das für einige wenige Anwohner Unannehmlichkeiten mit sich brachte, so muss doch gesagt werden, dass viele von ihnen ihre Geschäfte nicht ungern im Dunkeln erledigten.
    Im Rest der Stadt, zumindest was den Teil am südlichen Flussufer anging, waren die meisten Gehwege in irreparablem Zustand und die Straßen selbst kaum mehr als ein Morast von undefinierbarer Zusammensetzung, täglich strapaziert von Pferden und Wagen und aufgewühlt von Viehherden, Schweinen und Schafen, die an Markttagen hindurchgetrieben wurden. Jeden Abend gefror der Morast wegen der extremen Temperaturen, die zurzeit herrschten. Es war ein Winter, wie man ihn noch nie erlebt hatte.
    Barton Gumbroot’s Pension lag fast am Ende der schmalen Old Goat’s Alley. Es war eine schäbige Bruchbude, in der Barton möglichst viele Räume untergebracht hatte, um aufdiese Weise das Mieteinkommen zu erhöhen. Pin hatte immer ein ungutes Gefühl, wenn er zu seinem Zimmer zurückkehrte, ob tagsüber oder in der Nacht. Seine Mitbewohner waren ohne Ausnahme zwielichtige Leute und jeder von ihnen besaß mehr oder weniger unangenehme Gesichtszüge oder Angewohnheiten, oftmals auch beides. Was Barton Gumbroot betraf, so traute Pin dem Mann nicht über den Weg. Es war ringsum bekannt, dass er im Keller ein zweites einträgliches Gewerbe betrieb, nämlich das eines Zahndoktors.
    Tag und Nacht waren die Schreie zu hören, aber niemand hatte den Mumm, ein Wort zu sagen. Barton Gumbroot hatte sogar schon des Öfteren angedeutet, dass er für die Begleichung der wöchentlichen Miete gern auch ein, zwei Zähne annehmen würde, aber Pin hatte abgelehnt. All das und manches andere ging Pin nun durch den Kopf, während er hastig am Fluss entlanglief. Unmittelbar vor der Brücke blieb er an einer Steintreppe stehen, die zum Wasser hinunterführte.
    Die Reichen sind wirklich besser dran, dachte er wehmütig, als er über das Wasser blickte. Ein übel riechender Fluss war der Foedus immer, doch im nördlichen Teil der Stadt war der Gestank wegen des vorherrschenden Windes kaum wahrzunehmen. Die Reichen hatten
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