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Silbernes Band (German Edition)

Silbernes Band (German Edition)

Titel: Silbernes Band (German Edition)
Autoren: Monika Jaedig
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weisst, dass sich meine Eltern nie viel aus mir gemacht haben. Plötzlich jemanden zu haben, der einen vorbehaltlos liebt und sich um einen kümmert – das war mehr als ich jemals vom Leben erwartet hatte.

    Wir reisten gemeinsam durch Europa und Nordamerika. Ich lebte einen wunderschönen Traum. Erst als ich unerwartet schwanger wurde, realisierte ich, dass ich mich gewissen Tatsachen stellen musste. Dass ich mich schuldig machte, wenn ich duldete, dass er Menschen tötete. Mein Kind sollte nicht mit dieser Schuld aufwachsen. Ich bat ihn, sesshaft zu werden und sich von Tierblut zu ernähren, damit wir dir ein weitgehend normales Leben ermöglichen konnten. Das Heimweh plagte mich, also zogen wir wieder nach Island, auf eine abgelegene Farm im Norden. Wir hielten Schafe, damit er sich davon ernähren konnte. Anfangs glaubte ich, nun würde alles gut werden und wir könnten eine glückliche Familie sein. Natürlich kam es anders: Dein Vater verliess immer öfter für einige Stunden die Farm, manchmal blieb er die ganze Nacht weg. Gleichzeitig verschwanden mehrere Menschen spurlos. Ich vermutete, dass er alle diese Menschen getötet hatte. Als man einen seit längerer Zeit vermissten Nachbarn tot in einer Schlucht fand, konfrontierte ich ihn mit meinem Verdacht. Er bestritt, etwas damit zu tun zu haben, gab jedoch zu, dass er mehrere der vermissten Menschen getötet hatte. Er bat mich um Verzeihung und um Verständnis, aber ich konnte so nicht leben, also nahm ich alle Kraft zusammen und verliess ihn noch am selben Tag. Ich verlangte von ihm mir fernzubleiben und verbot ihm, Kontakt zu dir aufzunehmen. Mir ist bewusst, was ich dir angetan habe damit, dass ich dir deinen Vater vorenthielt, doch ich tat es nur zu deinem Besten. Ich befürchtete, dass er dich zum Töten verführen könnte.“

    Heiðar hatte ihre Worte richtiggehend in sich aufgesaugt. Nach so langer Zeit endlich ihre Geschichte zu hören, die auch seine Geschichte war, löste in ihm eine Welle von Gefühlen aus. Einerseits konnte er verstehen, weshalb seine Mutter ihn von seinem Vater fernhielt, andererseits verspürte er wieder diese Wut, wie nach ihrem Gespräch an seinem 18. Geburtstag. Er fühlte sich betrogen um viele Jahre seines Lebens. „Ich weiss noch nicht einmal seinen Namen...“, knurrte er wütend und hielt ihren hilflosen Blick fest. Kristín versuchte beschämt ihn zu senken, aber er zwang sie ihn anzusehen. Auch er verfügte über die Fähigkeit Menschen zu bannen, setzte seine Gabe aber nur selten ein. Bisher hatte er nie gewagt, seine Mutter zu beeinflussen. In ihrem Gesicht stand blanke Angst, in den Augen verharrten Tränen, die er mit der Macht seines Blickes daran hinderte, über ihre Wangen zu laufen. Er hielt sie gefangen, bis er endlich realisierte, was er ihr antat. Rasch schlug er die Augen nieder und streckte die Hand nach ihr aus: „Bitte verzeih mir, ich wollte das nicht...“

    Sie liess die Tränen frei und schlug sich schluchzend die Hände vors Gesicht. „Sein Name ist Fionn... Wahrscheinlich sucht er dich irgendwann auf. Vielleicht wartet er noch, bis ich sterbe... Sei vorsichtig, er ist sehr gefährlich hinter seiner charmanten Maske! Bitte, du musst mir verzeihen, was ich dir angetan habe. Ich habe versucht, das Beste daraus zu machen, doch das war wohl nicht genug...“

    „Fionn!“ Er nickte knapp, stürzte ohne einen Abschiedsgruss aus dem Zimmer und rannte den Flur entlang. Birna lauerte nirgends auf ihn, also flitzte er in atemberaubendem Tempo zum Ausgang. „Fionn! Fionn!“ In Gedanken wiederholte er ständig seinen Namen. Er wollte ihn herausschreien, damit alle Welt erfuhr, dass er einen Vater hatte. Dass sein Vater nicht länger eine konturlose Figur am Rande seines Lebens war. Er musste ihn finden – jetzt gleich. Heiðar witterte angestrengt und konzentrierte sich mühsam darauf, Fionns Duft aus dem Gewirr von Gerüchen herauszufiltern. Da ihre Düfte sich so ähnelten, hatte er das Gefühl, nach sich selbst zu suchen. Aber das tat er ja auch – er suchte nicht bloss seinen Vater. Es ging darum sich selbst zu finden. Jenen Teil seiner Persönlichkeit, der noch immer fehlte.

    „Hier!“ Heiðar hatte seine Fährte ausfindig gemacht und folgte ihr durch die automatische Tür nach draussen. Die Duftspur führte zu einem verlassenen Parkfeld, wo er ernüchtert innehielt. Sein Vater war mit dem Wagen weggefahren. Er konnte seine Fährte nicht länger verfolgen. Vielleicht war Fionn schon auf dem
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