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Silbernes Band (German Edition)

Silbernes Band (German Edition)

Titel: Silbernes Band (German Edition)
Autoren: Monika Jaedig
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54 Kilo. Honigblondes Haar fiel in sanften Locken bis über die Schultern. Ein schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen und grün-goldenen Augen. Sie trug ein Namensschild an der Bluse: Rúna.

    „Ich suche den neuen Krimi von Örn Eyvindsson“, erwiderte er ihren fragenden Blick. Etwas Besseres war ihm auf die Schnelle nicht eingefallen, aber der erfolgreiche Autor veröffentlichte bestimmt in absehbarer Zeit seinen neuesten Fall, der dann gleich wieder ganz oben in den Bestsellerlisten zu finden war.

    „Der erscheint erst nächste Woche. Wenn du möchtest, kann ich dir ein Exemplar reservieren“, entgegnete sie lächelnd. „Sehr gerne. Dann komm ich nächste Woche wieder vorbei.“ Er musste schnellstens hier raus. „Hol sie dir. Beiss zu!“ Eine Stimme in seinem Kopf wiederholte ständig diese Worte. Sie würde sagenhaft schmecken, soviel stand fest.

    „Ich brauche deinen Namen und die Adresse, damit ich das Buch reservieren kann. Komm doch bitte mit zur Kasse, dann schreib ich es mir auf.“ Sie schob ihren Bücherwagen, der wie ein Bollwerk zwischen ihnen stand, zur Seite und ging mit langen geschmeidigen Schritten zur Kassentheke.

    Er zwang sich, zwei Schritte hinter ihr zu bleiben, doch wenn er jetzt die Beherrschung verlor, nützte ihr auch das nichts. Sie hätte keine Zeit zu realisieren, was passierte, wenn er sich auf sie stürzte und ihren Hals zerfetzte. Rúna wäre verloren, ihr junges Leben ausgelöscht. Er wäre für alle Zeiten verdammt. Und Island hätte neue Schlagzeilen.

    Sie nahm mit einer anmutigen Bewegung Notizblock und Kugelschreiber zur Hand und liess kurz ihren Blick über ihn schweifen. Er war gross, mindestens einsfünfundachtzig. Vielleicht etwas blass um die Nase, aber er hatte markante männliche Gesichtszüge und einen schönen Mund mit vollen Lippen. In den widerspenstigen, dunkelbraunen Locken hingen feine Regentropfen. Das feuchte Haar fiel ihm keck in die Stirn, weshalb er es ständig zurückstreifte. Dass er ein Krimifan war, hätte sie nicht gedacht. Eher jemand, der sich für ernsthaftere Literatur oder Sachbücher interessierte. Er wirkte auf seltsame Weise, als stammte er aus einer anderen Zeit.

    Rúna notierte den gewünschten Titel. „Also... Dann brauch ich deinen Namen und die Adresse.“ Sie hörte auf zu schreiben und blickte hoch. Das leuchtende Goldgrün ihrer Augen nahm ihn gefangen. Es dauerte einen Tick zu lange, bevor er antwortete: „Heiðar, Heiðar Kristínarson. Ich wohne an der Njálsgata, Nummer 16. Brauchst du meine Telefonnummer?“ – „Gerne. Wir rufen an, sobald das Buch da ist.“ Er nannte ihr die Nummer, die sie flink notierte. Heiðar blieb einen Moment an der Theke stehen, um sie noch einmal anzusehen. „Nimm sie dir!“ Seine hungrigen Augen streiften ein letztes Mal ihre Kehle. Nichts wie weg hier! Als sie den Blick von ihrem Notizblock hob, um den gemurmelten Gruss zu erwidern, strebte er bereits zügig dem Ausgang zu. Rúna Pétursdóttir war noch einmal davongekommen.

Zu viele blaue Teile

    Heiðar presste heftig die Luft aus den Lungen und floh. Der schöne Herzklang war immer noch schwach zu hören. Bewusst sog er die kalte Herbstluft in sich auf und tilgte so Rúnas köstlichen Duft, der ihm in der Nase stach.

    Er schlug den Weg zum Landeskrankenhaus ein. Seine Mutter Kristín lag schon sehr lange im Spital. Vor vier Monaten wurde eine aggressive Form von Leukämie diagnostiziert, nachdem sie auf sein Drängen endlich einen Arzt aufgesucht hatte. Heiðar hatte bereits bei seinem Besuch zu Ostern gerochen, dass etwas nicht in Ordnung war, aber sie wollte nicht auf ihn hören.

    Nun gab es kaum noch Hoffnung auf Heilung. Die Tatsache, dass er seine Mutter bald verlieren würde, verdrängte er hartnäckig.

    Ein kurzer Fussmarsch, dann war Heiðar beim Krankenhaus angelangt. Er betrat das weitläufige weisse Gebäude durch die automatische Tür und eilte mit federnden Schritten zur Krebsstation im ersten Stock.

    „Heiðar! Bitte warte kurz!“ Es war Birna, eine der Krankenschwestern, eine etwas dralle Blondine mit breitem Gesicht und hübschen, blau-grauen Augen. Sie roch ziemlich gut, nach schwarzem Lavasand und milder Mitternachtssonne. Heiðar mochte sie. Unter anderen Umständen wäre er vielleicht mit ihr ausgegangen, er wusste, dass sie nicht abgeneigt war. Die strahlende Mitternachtssonne kam mit verführerischem Hüftschwung auf ihn zu. „Hör mal Heiðar“, sie legte leicht die Stirn in Falten, „Heute war
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