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Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht
Autoren: Laura Whitcomb
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hinein.« Das Klopfen wurde zu einem lauten Hämmern, die Scharniere ächzten im Türrahmen.
    »Bist du verletzt?«, fragte der Junge.
    »Nein.« Jenny sprach so leise, dass niemand sie hören konnte.
    »Mach die Tür auf!« Cathys Stimme wurde immer schriller. »Ich rufe die Polizei.«
    Das Rütteln an der Tür wurde so stark, dass die Tabletten auf dem Boden vibrierten. »Ich wähle jetzt die 110 .« Cathys Stimme wurde leiser.
    »Es geht mir gut«, rief Jenny laut.
    Mit einem lauten Krachen sprang die Tür auf, und Billy Blake stand im Raum.
    Zitternd zog Jenny die Knie an die Brust, um ihre Blöße zu bedecken.
    »Bist du okay?«, fragte er.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete sie bibbernd.
    Billy kniete sich neben die Wanne und legte ihr ein Handtuch um die Schultern.
    »Es tut mir leid, dass ich mich nicht an dich erinnert habe, als du mich heute besucht hast«, sagte er.
    »Ich habe dich besucht?« Jenny starrte ihn an, als versuchte sie, sich an einen Traum zu erinnern.
    »Nachdem du weg warst, habe ich das in meinem Zimmer gefunden.« Er zog ein Foto aus seiner Gesäßtasche. »Das sind wir«, sagte er.
    Sie nahm das leicht überbelichtete Schwarzweißbild in ihre nassen Hände und betrachtete es. Es zeigte zwei lachende Gesichter und nackte Schultern.
    »Ich kann mich in letzter Zeit nicht mehr an alles erinnern«, erklärte Billy.
    Immer noch fassungslos starrte sie ihn an. »Ich auch nicht.«
    »Du siehst glücklich aus mit mir zusammen«, sagte er, als ob er es nicht glauben könnte.
    Jenny blickte mit Tränen in den Augen auf das Foto und atmete dann tief ein. »Ja, das tue ich.«
    Er setzte sich und rieb behutsam mit dem Handtuch über ihr nasses Haar. Sie blickte ihm ins Gesicht und fragte, auch wenn es ihr offensichtlich peinlich war: »Du heißt Billy?«
    Er lachte. »Ja.«
    Ich beobachtete die beiden aus meiner Ecke an der Zimmerdecke und fühlte, wie ich immer weiter nach oben schwebte, bis unters Dach und darüber hinaus. Mein Herz blühte auf wie eine Blume, nicht nur, weil Jenny und Billy sich gefunden hatten, sondern auch weil ich endlich zum Himmel auffuhr. Ich war mir sicher, dass ich ein Licht sehen konnte und James, der mich durch ein Loch anlächelte, das nicht größer war als eine Katze.
    Doch zu meiner unendlichen Trauer musste ich erkennen, dass sich das Loch nicht im Himmel befand, sondern in der Kellertür. Erneut umgaben mich eisige Kälte und tiefe Dunkelheit. Ich wollte nicht mehr kämpfen.
    »Helen?« Seine Stimme war genau neben meinem Ohr, und ich spürte, wie James seine Arme von hinten um mich legte. Eine schmerzliche Mischung aus Sehnsucht und Verlust überwältigte mich. Ich wollte nur ihn, doch er war ein Traum, eine hell strahlende Illusion. Schwarzes Wasser reichte mir bis zum Kinn. Seine Arme waren nicht fest, seine Stimme nur in meinem Kopf. Er drückte sich warm in mich hinein. Ich wollte weinen, doch ich hatte keine Tränen mehr.
    »Du bist nicht wirklich hier«, sagte ich.
    »Doch, das bin ich.« Er verschmolz mit mir.
    Ein neues Kapitel meiner Hölle begann – der schlimmste Moment meines Lebens hielt mich für immer gefangen, und Gott ließ mein größtes Glück unerreichbar vor den Gitterstäben meines Gefängnisses baumeln.
    »Komm mit mir«, sagte er.
    Ich wollte um die Freude unserer vereinten Körper weinen und trauern, doch ich war knochentrocken. »Ich kann nicht.«
    »Du kannst diese Mauern durchbrechen«, sagte er. »Du hast sie gebaut.«
    »Nur Gott kann sie zerstören«.
    Tief in mir lachte er und flüsterte: »Sturkopf.«
    »Mama?« Ich blickte nach oben zu dem Loch in der Kellertür und sah das verängstigte Gesicht meiner Tochter, das zu mir herunterstarrte. Ein Hoffnungsschimmer erleuchtete mein Herz. Vielleicht konnte ich den Alptraum verändern.
    »Halt dich auf dem Weg an den Zweigen fest«, rief ich ihr zu. Sie runzelte die Stirn, dann verschwand ihr blasses herzförmiges Gesicht aus meinem Blickfeld. Ich sah ihre kleine Hand, die sich an einem Zweig vor der Öffnung festklammerte.
    »Lauf!« Du, meine kleine Tochter, kannst mich überleben. Meine geliebte Vertraute. Meine Retterin aus dunklen Träumen. Du, mein einziges Kind. Du, mein einziger Freund. Warte nicht. Lauf.
Lebe.
    Entsetzt hörte ich ihre Stimme von draußen.
    »Mama?«
    Warum lief sie nicht weg? Ich wollte nach ihr rufen, doch mein Mund war voller Wasser. Ich packte die Ränder der Planken und versuchte, das Loch zu vergrößern. Kleine schwarze Späne zerkrümelten in meiner
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