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Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht
Autoren: Laura Whitcomb
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dann auf, wenn …«
    »Wo ist Dad?«
    Wieder schien sie mich zu vergessen. Ich folgte ihr, als sie ins Arbeitszimmer ging, dort die Bücher aus den Regalen riss und sie achtlos auf den Boden warf. Sie durchwühlte Dans Schreibtischschubladen und schleuderte Stifte auf den Teppich. Dann schlug sie eines seiner Zeitmanagementbücher auf und versuchte es in der Mitte auseinanderzureißen, doch ihre Kraft reichte nicht aus.
    Ich hatte mich die ganze Zeit wie betäubt gefühlt, doch als ich Cathys Schmerz sah, baute sich dieselbe Kraft in mir auf wie am Abend zuvor, als ich die Gemeindefrauen so vor den Kopf gestoßen hatte. Die Freude, James zu lieben, und der Schmerz, ihn zu verlieren, hatten etwas in mir aufgebrochen. »Was hat Dan getan?«, fragte ich.
    »Habe ich dir nicht gesagt, dass du in dein Zimmer gehen sollst?« Cathy kämpfte immer noch mit dem Buch und versuchte, den Rücken zu brechen.
    »Warum bist du gegen mich? Warum kannst du mir nicht helfen?«, fragte sie mich. Ich stellte mich ganz nah vor sie hin und nahm ihr das Buch aus den Händen. Mit festem Griff riss ich es in der Mitte entzwei und reichte ihr die beiden Hälften.
    Sie war so überrascht, dass sie die Seiten zu Boden fallen ließ. Ich wartete ab, was sie als Nächstes zerstören wollte. In ihren Augen flackerte die Erkenntnis auf, dass wir Verbündete waren – ich würde niemals Partei für Dan ergreifen.
    »Danke«, sagte sie leise und ging an mir vorbei in den Flur.
    Ich folgte ihr ins Gesellschaftszimmer. Sie blieb mitten im Raum stehen und starrte auf die Gebetsecke, wo die Bibel und das Tagebuch auf den Stühlen lagen. Ich stellte mich neben sie, und für einen Moment sah sie mich ganz seltsam an. Dann stürzten wir gleichzeitig auf das Stuhldreieck zu. Cathy riss ein Stuhlbein ab und zerfetzte die Bezüge, die Polsterung flog in alle Richtungen. Ich zerkleinerte Jennys Tagebuch in kleine Papierschnipsel und warf sie über uns in die Höhe. Cathy lachte, auch wenn sie immer noch zitterte. Sie lief zu dem Geschirrschrank an der Wand und kam mit einer Kristallkaraffe zurück. Mit einem Aufschrei sprang ich zurück, als sie eine Flüssigkeit über den zerbrochenen Stühlen und den Papierfetzen verteilte, die nach Brandy aussah. Ich stimmte in ihr Lachen mit ein, rettete jedoch die Bibel, die halb unter dem Haufen verborgen lag.
    Dann holte Cathy eine Packung Streichhölzer vom Kamin und zündete eines an, das sie genussvoll auf den Scheiterhaufen warf. Die Flammen fraßen sich schneller durch das Holz und stiegen höher auf, als wir gedacht hätten. Nach ein paar andächtigen Sekunden stürzte Cathy hinter die Tür, um den Feuerlöscher zu holen und weißen Schaum auf das Feuer zu sprühen. Ich war immer noch damit beschäftigt, glimmende Fetzen von Jennys Bibeltagebuch auszutreten, damit sie sich nicht in den Teppich fraßen, als Cathy den roten Behälter sinken ließ. Sie lachte nicht mehr.
    Das ohrenbetäubende Schrillen des Rauchmelders ließ uns beide aufschreien. Wir versuchten, zu dem kleinen Plastikgehäuse an der Decke emporzuspringen, verfehlten es jedoch um ein paar Zentimeter. Ich ging in Deckung, als Cathy die Karaffe auf das blinkende Auge warf und den Rauchmelder in zwei Stücke zerschmetterte. Der in der Luft hängende Rauch roch nach Karamell.
    Cathy presste eine Hand vor den Mund und rannte ins Badezimmer. Würgend erbrach sie sich in die Toilette und blieb dann auf dem Boden sitzen. Ich war noch nie im Elternschlafzimmer und dem angrenzenden Badezimmer gewesen. Der Teppich war so weich wie ein Bett. Langsam ging ich auf sie zu und fürchtete fast, sie würde wie ein Tier zurückschrecken. Doch sie ließ es zu, dass ich mich neben sie setzte und ihr meine Hand auf den Kopf legte. Ihre Zähne schlugen aufeinander, ihre Stimme war nur ein heiseres Flüstern, ein gequältes Wehklagen. Ich streichelte ihr Haar und erinnerte mich daran, wie ich während meiner Zeit als Licht meine Bewahrer hatte trösten wollen, wenn sie weinten. Doch damals war es mir nicht möglich, ihre Haare zu spüren oder ihre Tränen abzuwischen. Cathys Haar war so weich wie das eines Babys.
    »Er hat mich verlassen«, schluchzte sie. »Er wird sich scheiden lassen und Judy Morgan heiraten. Sie ziehen nach San Diego.«
    »Es tut mir leid«, sagte ich.
    »Sie hat da mit den anderen Frauen gesessen, als ob nichts wäre.« Cathy sah mich ungläubig an. »Sie sitzt in der Kirche jede Woche in der Reihe hinter uns.« Dann fiel ihr plötzlich etwas ein.
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