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Silber

Titel: Silber
Autoren: Steven Savile
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die Natur des Krieges nicht verstand. Manchmal war Raffinesse wichtiger als die Schlagkraft.
    Eine Treppe aus Gusseisen und Granit führte über drei Zwischenabsätze zum Obergeschoss hinauf. Die steinernen Stufen waren in der Mitte glatt ausgetreten, wo sich in den dreihundert Jahren seit der Erbauung des Hauses schon Tausende von Füßen ihren Weg gesucht hatten. An der Wand befand sich ein Treppenlift, und abgeschrammte Stellen waren zu sehen, wo der Alte mit seinem Rollstuhl angestoßen war. Noah konnte sich nur schwer vorstellen, dass Sir Charles sich der Erniedrigung durch den Treppenlift unterzog; das war nicht seine Art. Er müsste sich seinen Weg eigentlich auf Händen und Knien nach oben kämpfen, das würde besser passen.
    So prächtig die Empfangshalle auch war, sie wirkte alt und müde, ebenso wie die Treppe und die Fensterläden aus rissigem Eichenholz. Keine wertvollen Gemälde alter Meister zierten die Wände, auf den Fluren standen keine teuren Antiquitäten. Man hätte einem zufälligen Besucher nicht übel genommen, zu glauben, dass Sir Charles pleite war. Doch das war nicht der Fall, er investierte sein Geld nur anderweitig.
    Noah durchquerte die Vorhalle. Der Salon lag hinter der ersten Tür auf der rechten Seite, gegenüber der Bibliothek.
    Ohne anzuklopfen öffnete er die Tür und trat ein.
    Der Salon entsprach nicht unbedingt dem, was man sich unter dem Refugium eines englischen Gentlemans vorstellen mag. Sir Charles selbst bezeichnete ihn nur als den Kessel. Noah dachte eher in militärischen Begriffen, für ihn war es der Einsatzraum. Das große Zimmer bestand fast gänzlich aus glänzenden Glasflächen und dünnen Stahltraversen, die mit dem antiken Charme des altenglischen Landhauses scharf kontrastierten. Die gesamte Einrichtung war auf Sir Charles’ Gehbehinderung angepasst.
    Zwölf riesige, hochauflösende Plasmabildschirme nahmen eine ganze Wand des Raumes ein. Sie zeigten zusammen ein großes Bild als visuelles Mosaik, das man in zwölf Einzelbilder aufsplitten konnte. An der nächsten Wand standen zwei Bücherregale. Das erste war gefüllt mit unbezahlbaren Erstausgaben: Bunyon, Marlowe, Fielding und Goethe standen neben Folianten von Lavater, Glanvil, Maturin und Collins – letztere mit eigenhändigen Anmerkungen der Autoren versehen. Das zweite Regal enthielt nur wertlose Bücher in auf alt gemachten Kunstledereinbänden. Selbst wenn Noah nicht gewusst hätte, welche Funktion diese Attrappen hatten, es wäre wohl nicht schwer zu erraten gewesen.
    Hinter den falschen Büchern befand sich ein Lastenaufzug. Er führte in einen Bereich hinab, den sie das Nest nannten, das Nervenzentrum von Nonesuch. Hier standen nicht nur die Server mit ihren Zettabytes an gespeicherten Informationen, hier wurden auch sämtliche Meldungen der Nachrichtenagenturen gesammelt, die Überwachungskameras gesteuert, Satellitensignale überwacht und die Notstromversorgung für das Haus sichergestellt. Es war das pochende Herz unter den Dielenbrettern. Die List hätte nicht einmal einen halbprofessionellen Einbrecher in die Irre führen können – Rollstuhlspuren führten durch den Teppich und endeten plötzlich vor dem zweiten Bücherregal – aber ein halbprofessioneller Einbrecher wäre auch niemals bis in den Kessel gelangt. Die Bücherattrappen gab es nur aus dem Grund, weil Sir Charles dieses Spiel so genoss.
    In die Decke waren Scheinwerfer eingelassen, deren Licht herabgedimmt war. Auf den Bildschirmen war nur ein ausdrucksstarkes Einzelbild zu sehen: eine brennende Frau mit ausgebreiteten Armen. Der Zeitstempel des Bildes zeigte 15:00 Uhr UTC an, demnach war die Aufnahme nicht ganz zehn Stunden alt.
    Auf einer Reihe von Sockeln standen kleine Marmorstatuen, und jede von ihnen zeigte eine andere Darstellung des personifizierten Krieges. Dort waren Badb und ihre Schwestern Macha und Morrigan, die keltischen Schlachtenkrähen. Neben ihnen stand Bastet, die ägyptische Löwin, mit stolz erhobenem Haupt und herausforderndem Blick. Der griechische Gott Ares und der römische Gott Mars traten als Jäger verkleidet auf. Der einäugige Odin trug die Raben Hugin und Munin auf seinen Schultern, Gedanke und Erinnerung, während der nordische Gott selbst den ewigen Zwiespalt des Krieges verkörperte. In der Mitte stand schließlich Kali, die hinduistische Göttin des Todes.
    Die Statuetten verliehen dem Raum einen Hauch von Okkultismus, mit dem der alte Mann sich gern umgab. Sie spiegelten seine vielfältigen
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