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Silber

Titel: Silber
Autoren: Steven Savile
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Behaglichkeit und Vertrautheit, ohne dabei jedoch jemals langweilig zu werden. Bei beiden schlummerte viel mehr unter der Oberfläche, als man auf den ersten Blick erahnen konnte; sowohl die Stimme wie auch die Straßen der Stadt waren voll von versteckten Feinheiten. Noah hätte an keinem anderen Ort der Welt leben wollen, er war durch und durch ein Kind Londons. Er lebte und atmete mit der Stadt. Er grinste in dem Wissen, dass ihm so schnell niemand vorwerfen würde, bei klarem Verstand zu sein.
    Die Nadel des Tachometers sank auf der fünfzig Kilometer langen Strecke nach Ashmoor und Nonesuch Manor nur zweimal unter hundertfünfzig. Als die Straße breiter wurde, drehte er die Lautstärke auf und versank in der Musik. Noah verließ die Hauptstraße drei Kilometer vor Ashmoor und bog in einen Reitweg ab, der über Wiesen und Weiden zu der mit Linden gesäumten Zufahrt von Nonesuch führte. Außerhalb der Stadt war die Nacht schwarz und undurchdringlich. Kein einziger Stern war mehr am Himmel zu sehen, die Zweige hingen tief und flüsterten im Fahrtwind des Austins. Bald erhoben sich vor ihm die hohen Eisentore von Nonesuch Manor House. Zwei groteske, aus Stein gehauene Dämonenfiguren saßen auf den Torpfosten und beobachteten aufmerksam seine Ankunft. Ihre Augen waren ausgehöhlt und durch Überwachungskameras ersetzt worden.
    Noah verringerte die Geschwindigkeit. Der Kies spritzte unter seinen Reifen hervor, als er die hell ausgeleuchtete Einfahrt entlangfuhr. Ringsherum ließen die starken Scheinwerfer Schattendämonen erscheinen, die im Wind tanzten und ihm zuwinkten. Er parkte seinen Wagen neben Ronan Frosts Ducati Monster 696, dem einzigen Motorrad auf dem Innenhof. Es gab allerdings noch andere Autos, und jedes von ihnen war etwas Besonderes. Dort stand ein mit Schlamm bespritzter Lamborghini Diablo, ein feuerroter Jaguar E-Type, ein Bugatti Veyron, ein kanariengelber Lotus Elan, der Daimler von Sir Charles – ein zeitloser Klassiker – und das beste Pferd im Stall: ein silberner V12 Aston Martin Vanquish. Wie Ronan Frost zu sagen pflegte: Wenn man schon kein Leben hat, kann man wenigstens einen anständigen Wagen fahren.
    Noah kletterte aus dem Schalensitz und ließ die Schlüssel im Zündschloss stecken – niemand würde den Austin aus dem Innenhof von Nonesuch stehlen.
    Vor ihm erhob sich das Nonesuch Manor House, obwohl diese Bezeichnung reichlich irreführend war. Das Gebäude hatte mehr Ähnlichkeit mit einem Schloss als mit einem Haus. Der linke Flügel war sogar mit Zinnen bewehrt, obgleich schon einige von ihnen den Kletterpflanzen zum Opfer gefallen waren, die sich zwischen den Mauerritzen hindurch tief in das Gemäuer gefressen hatten. Der Ringflügel in der Mitte sah aus wie ein riesiger Edelstein, der in der Nacht funkelte. Es handelte sich dabei um das Atrium des Alten, in dem seine umfangreiche Sammlung seltener Pflanzen untergebracht war. Die hellen Glasscheiben trotzten der Nacht. Im Erdgeschoss brannte nur in drei Fenstern Licht, alle anderen waren mit hölzernen Läden verschlossen. Max, der Butler des Alten, erwartete ihn unter dem von Säulen flankierten Portikus. „Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Fahrt, Sir?“ Noah nickte stumm. Die beiden hatten sich vom ersten Moment an nicht ausstehen können. „Sir Charles erwartet Sie im Salon, zusammen mit den anderen. Dürfte ich Ihnen den Mantel abnehmen, Sir?“ Noah schälte sich aus der Lederjacke und übergab sie ihm. „Vielen Dank, Sir. Wünschen Sie sonst noch etwas?“ Und dann, nach einer kurzen Pause, fügte der Butler hinzu: „Etwas Zahnpasta vielleicht? Ihr Atem riecht nach der glücklosen Person, die heute Nacht auf ihrem Gesicht gesessen haben muss.“
    Noah ignorierte ihn und trat ein.
    Nonesuch Manor war ein weitläufiges altes Anwesen, in dem es viele Korridore, Zwischengeschosse und Dienstbotentreppen gab. Die große Eingangshalle war mit Eichenholz getäfelt, das allerdings Anzeichen von einem Wasserschaden zeigte. Das Familienwappen des alten Mannes prangte an der Mauer über dem offenen Kamin. Es sah nicht so aus, als ob der Kamin in den letzten zehn Jahren oft befeuert worden wäre.
    Auf einem Tischchen daneben stand ein Schachbrett mit fein geschnitzten Figuren, auf dem die Saavedra-Studie aufgebaut war: Laut Sir Charles ein wundervolles Endspiel und ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie man seinen Namen mit einem einzigen Zug unsterblich machen konnte. Sie war auch eine nützliche Lektion für jeden, der
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