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Silber

Titel: Silber
Autoren: Steven Savile
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trat nackt vor sie.
    „Du hast ihn getötet“, sagte Matthäus und verdammte ihn damit. Es waren die letzten Worte, die Judas Iskariot hörte. Matthäus hielt einen Strick in seinen Händen. Er war zu einer Schlinge gebunden.
    Er hieß den ersten Stein von Jakobus willkommen, der ihn an der Schläfe traf. Er wich nicht zurück. Er spürte ihn nicht. Auch den zweiten von Lukas spürte er nicht, oder den dritten von Johannes. Die Steine trafen ihn, einer nach dem anderen, jeder härter geworfen als der vorherige, bis sie Iskariot in die Knie zwangen. Alles, was er spürte, war das Leid des Gartens.
    Matthäus trat mit dem Strick vor und legte ihn um Judas’ Hals.
    Judas weinte.



2
BRENNT MIT MIR
    Jetzt
    Es war zwei Minuten vor drei, als die Frau den Bahnhof Trafalgar Square betrat.
    Bekleidet mit Jeans und einem weiten gelben T-Shirt sah sie aus wie die unzähligen anderen Sommertouristen, die den Bronzelöwen von Sir Edwin Landseer ihre Aufwartung machen wollten. Ein großer Smiley prangte auf ihrer Brust, sein Grinsen wurde durch die tropfenförmigen Rundungen ihrer Brüste verzerrt. Allerdings war gerade nicht Sommer. Das gelbe T-Shirt ließ die Frau aus der hektischen Menschenmasse hervorstechen, denn alle anderen waren mit Handschuhen, Wollmützen und Schals dick gegen die kalte Frühlingsluft eingepackt.
    Sie blieb stehen, ein winziger Ruhepol in der stetigen Betriebsamkeit Londons. Sie öffnete den Verschluss der Plastikflasche in ihrer Hand. Dann kippte sie sich den Inhalt der Flasche über den Kopf und die Schultern und massierte die zähe Flüssigkeit in ihre Kopfhaut. Es dauerte nicht lange, bis ihr langes blondes Haar strähnig und fettig aussah, als ob sie es seit Monaten nicht gewaschen hätte. Sie roch wie der Nebel aus Abgasen, der der Stadt die Luft zum Atmen nahm.
    Tauben landeten zu den Füßen des Mannes neben ihr; er hatte Brotkrumen auf das Kopfsteinpflaster gestreut. Er blickte auf und lächelte ihr zu. Er hatte ein sanftmütiges Gesicht und ein freundliches Lächeln. Sie fragte sich, wer ihn liebte. Sie war sich sicher, dass es jemanden gab, denn er strahlte die Zufriedenheit eines geliebten Menschen aus.
    Um sie herum teilten sich die Touristen in Gruppen auf: Diejenigen, die Lust auf Kultur hatten, gingen zur National Portrait Gallery; die Durstigen zog es ins Café an der Ecke; die Anhänger des Königshauses überquerten die Straße und verschwanden hinter dem Admirality Arch in Richtung Whitehall; die Hungrigen gingen in die trendigen Lokale am Chandos Place und in Covent Gardens; und diejenigen, die Unterhaltung suchten, wanderten die St Martins Lane hinab, zum Leicester Square oder nach Soho – je nachdem, welche Art der Unterhaltung ihnen vorschwebte. Geschäftsmänner in identischen Anzügen marschierten im Gleichschritt wie eine Gruppe Pinguine; mit Schirmspitzen und Segs, den Schuhbeschlägen aus Metall, die man nur in England findet, steppten sie den Rhythmus der Tagesgeschäfte auf das Straßenpflaster. Rote Doppeldeckerbusse krochen die Cockspur Street hinunter und bogen dann um die Ecke Richtung The Strand und Charing Cross. Die Stadt war voller Leben.
    Ein kleines Mädchen in einem roten Mantel rannte auf sie zu. Es lachte fröhlich und wedelte mit den Armen, um die am Boden pickenden Vögel aufzuscheuchen. Als sie genau in ihrer Mitte war, explodierten die Tauben in einem Chaos aus Federn in die Luft. Das Mädchen lachte noch lauter, ihre Kiekser jagten die Vögel in den Himmel. Die Begeisterung war ansteckend. Der Mann fischte in seiner Plastiktüte nach einem neuen Stück Brot, das er zerkrümeln konnte. Die Frau musste lächeln. Sie hatte das gelbe T-Shirt angezogen, weil es sie zum Lächeln brachte. Es erschien ihr wichtig, dass sie gerade heute lächelte.
    Sie zog ihr Telefon aus der Tasche und wählte die Nummer.
    „Presseagentur.“ Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang heiterer, als es angebracht war. Das würde sich in weniger als einer Minute ändern, wenn die Schreie begannen.
    „Eine Plage wird kommen“, sagte die Frau ruhig. „Vierzig Tage und vierzig Nächte werden Angst und Schrecken die Straßen regieren. Die Sünder werden in Flammen aufgehen. Es beginnt
jetzt
.“
    „Wer spricht da? Wer sind Sie?
    „Mein Name ist nicht wichtig. Sie werden bis heute Abend alles Wissenswerte über mich erfahren – bis auf ein wichtiges Detail.“
    „Und was wäre das?“
    „Warum ich es getan habe.“
    Sie strubbelte dem Mädchen durch die Haare, das wieder
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