Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Silber

Titel: Silber
Autoren: Steven Savile
Vom Netzwerk:
gekommen, mit nichts anderem als der Kleidung, die er trug, und seinem Pass. Er war älter als die anderen, und er hatte ein Leben geführt, dass auf jedem Zentimeter seiner Haut Spuren hinterlassen hatte. Sein Mund war ein dünner, wie von einem Messer gezogener Schlitz über einem Kinn mit Grübchen. Noah hatte die starke Vermutung, dass der Russe nur lächelte, um seine Bereitschaft zu signalisieren, jemanden nach Draußen zu begleiten und mit Fäusten und Füßen blutig zu schlagen. Aus diesem Grund war Noah ganz froh, dass Konstantin nicht lächelte. Er hatte seine dicken Finger ineinander verschränkt. An seinem rechten Zeigefinger fehlte das letzte Glied. Seine hochgerollten Ärmel gaben den Blick auf eine billige Plastikarmbanduhr frei.
    Jeder von ihnen hatte seine eigene Geschichte und seine eigenen Fehler. Keiner von ihnen hatte eine weiße Weste, sonst hätten sie nicht für den Alten gearbeitet; aber bei Konstantin war es etwas anderes. Manchmal war schwer zu sagen, ob seine Geschichten nur ein Produkt seines trockenen russischen Humors waren, oder ob doch mehr dahinter steckte. Er hatte schon Dinge getan, die für den Rest von ihnen fast unvorstellbar waren, aber er neigte auch dazu, alle Übel, die seinem Volk je widerfahren waren, in seine eigene Lebensgeschichte mit einzubauen. Einmal hatte er Noah erzählt, wie man ihn gezwungen hatte, mit den Eingeweiden seiner Mutter um den Hals geschlungen eine Straße entlang zu gehen, um seine Loyalität zum Staat zu beweisen. Noah wollte glauben, dass es nur eine von Konstantins makabren Anekdoten war – schon allein aus dem Grund, weil er sich nicht vorstellen konnte, was für Menschen einem Kind so etwas antun könnten. Das passte einfach nicht in seine Weltsicht. Und es erschien ihm mehr als unmenschlich, einem neunjährigen Jungen zu erzählen, dass er mit dieser barbarischen Handlung seine Loyalität zu einer unsichtbaren Regierung unter Beweis stellen könne.
    Dann war da noch Jude Lethe, das Kukuckskind in diesem Soldatennest. Er war der Computerspezialist des Teams. Er war ein Nerd, doch vor allem war er
ihr
Nerd. Mit seiner schwarzen Joe-90-Brille wirkte er so seriös, dass es schon fast schmerzte.
    Zusammen bildeten sie das Team Ogmios, benannt nach dem keltischen Helden, der seinerseits auf den Legenden des Herakles beruhte.
    Anstelle eines sechsten Stuhles stand am Kopf des Tisches der Rollstuhl des Alten.
    Hier waren seine Leute versammelt, und sie waren eine ungleiche – und gefährliche – Gruppe.
    „Wie schön, dass Sie es geschafft haben, Mister Larkin“, sagte der Alte von seinem Platz am Tisch aus.
    Noah nickte und setzte sich auf den letzten freien Stuhl.
    „Könnten wir jetzt beginnen?“
    „Lassen Sie sich von mir nicht aufhalten“, sagte Noah.
    „Vielen Dank.“
    Der alte Mann rückte seinen Rollstuhl in eine andere Position. Wäre er nicht querschnittsgelähmt gewesen, hätte er stattdessen kurz seine Unterlagen geordnet. Er streckte die Hand aus, berührte mit dem Finger den leeren Touchscreen und erweckte so den Computer darunter zum Leben. Das Bild auf der Videowand wurde sofort heller. Nach einer weiteren Berührung startete das Video.
    „London gehört zu den bestüberwachten Städten der Welt. Es gibt nicht einen Quadratmeter, der nicht durch eine Videoüberwachungsanlage oder eine private Sicherheitskamera abgedeckt ist. Was Sie hier sehen, hat sich heute um 15:00 Uhr am Trafalgar Square ereignet. Es gibt verschiedene Perspektiven, aber sie zeigen alle dasselbe Motiv.“ Es gab keinen Grund für weitere Ausführungen von Sir Charles, das Bild sagte eindeutig mehr als tausend Worte. Noah sah, wie die Frau brannte. Sie hatte die Arme weit ausgestreckt und drehte sich immer wieder um sich selbst, bis sie schließlich zu Boden fiel, als ob ihr schwindlig geworden wäre. „Eine Minute vor ihrem Selbstmord hat die Frau bei der Redaktion der BBC angerufen“, fuhr der alte Mann fort. Er strich über den Touchscreen, minimierte das angehaltene Video von der brennenden Frau und startete dann die Audioaufnahme ihres Anrufs.
    Ihre Stimme sprach zu ihnen aus dem Jenseits: „
Eine Plage wird kommen. Vierzig Tage und vierzig Nächte werden Angst und Schrecken die Straßen regieren. Die Sünder werden in Flammen aufgehen. Es beginnt
jetzt.“
    „Wer spricht da? Wer sind Sie?“
, fragte eine zweite Stimme.
    „Mein Name ist nicht wichtig. Sie werden bis heute Abend alles Wissenswerte über mich erfahren – bis auf ein wichtiges
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher