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Sigma Force 05 - Das Messias-Gen

Titel: Sigma Force 05 - Das Messias-Gen
Autoren: James Rollins
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doch die Worte des Mädchens waren aufgeladen mit unterschwelliger Bedeutung.
    Vielleicht lag es an ihrem Gebaren. So fremdartig, so abwesend , als stünde sie nur mit einem Bein in dieser Welt.
    Das Kind schaute mit klaren, unschuldig blauen Augen zu ihr auf. Seine Worte hingegen straften diesen Eindruck Lügen.
    »Du bist alt. Du wirst bald sterben.«
    Ihr Begleiter wollte sie ausschelten, doch Pythia sagte mit milder Stimme: »Wir müssen alle irgendwann sterben, Anthea. So ist der Lauf der Welt.«
    Anthea schüttelte den Kopf. »Der Hebräerjunge nicht.«
    Der unergründliche Blick bohrte sich in ihre Augen. Pythia bekam eine Gänsehaut. Offenbar hatte man das Mädchen im Kult Christi und des blutigen Kreuzes unterwiesen. Aber welch ein Ausspruch. Und dann der eigenartige Tonfall.
    Der Hebräerjunge …
    Sie musste an die unheilvolle Prophezeiung ihrer Vorläuferin denken.
    »Doch es wird jemand anders kommen«, fuhr das Mädchen fort. »Ein anderer Junge.«
    »Ein anderer Junge?« Pythia beugte sich vor. »Wer? Woher wird er kommen?«
    »Aus meinen Träumen.« Das Mädchen rieb sich mit dem Handballen übers Ohr.
    Pythia spürte, dass in dem Mädchen Schätze verborgen waren, die nur darauf warteten, gehoben zu werden. »Dieser Junge«, sagte sie. »Wer ist das?«

    Die Antwort des Mädchens brachte die Anwesenden zum Staunen - wenngleich sie sich der darin enthaltenen Blasphemie durchaus bewusst waren.
    »Der Bruder des Hebräerjungen.« Das Kind klammerte sich an den Saum von Pythias Gewand. »Er brennt in meinen Träumen … und er wird alles verbrennen. Nichts wird überdauern. Nicht einmal Rom.«
    Im Laufe des vergangenen Monats hatte Pythia sich bemüht, weiteren Aufschluss über die Prophezeiung zu bekommen. Sie hatte das Mädchen sogar in die Obhut der Schwesternschaft genommen. Das Kind aber hatte sich immer mehr in sich zurückgezogen und war verstummt. Doch es gab noch eine Möglichkeit, mehr in Erfahrung zu bringen.
    Wenn das Mädchen wahrhaft gesegnet war, dann würde Apollos Atem - sein prophetischer Odem - vielleicht freibrennen, was in dem seltsamen Mädchen sonst noch verborgen war.
    Aber würde die Zeit reichen?
    Eine Berührung am Ellbogen unterbrach ihre Träumereien und versetzte sie wieder in die Gegenwart zurück. »Herrin, die Sonne …«, drängte ihre jüngere Schwester.
    Pythia blickte nach Osten. Der flammend rote Himmel kündete vom unmittelbar bevorstehenden Sonnenaufgang. Von weiter unten drangen die Rufe der römischen Legionäre herauf. Die Kunde vom Mädchen hatte sich verbreitet. Die Untergangsprophezeiungen hatten sich weit herumgesprochen und waren selbst dem Kaiser zu Ohren gekommen. Ein kaiserlicher Kurier hatte mit der Begründung, das Mädchen sei von Dämonen besessen, dessen Überstellung nach Rom verlangt.
    Pythia hatte sich geweigert. Die Götter hatten das Kind zum Apollotempel und an ihre Schwelle geführt. Ohne ihm zuvor auf den Zahn gefühlt zu haben, wollte Pythia es nicht hergeben.

    Im Osten versengten die ersten Sonnenstrahlen den Morgenhimmel.
    Der siebente Tag des siebten Monats brach an.
    Sie hatten lange genug gewartet.
    Pythia wandte den Legionären mit den lodernden Fackeln den Rücken zu. »Komm. Wir müssen uns sputen.«
    Sie eilte ins Tempelinnere. Auch hier wurde sie von Flammen begrüßt, doch dies war die freundliche Wärme des heiligen Tempelfeuers. Zwei der Schwestern beaufsichtigten das Feuer, beide zu alt, um den beschwerlichen Aufstieg zu den Höhlen bewältigen zu können.
    Sie nickte ihnen dankbar zu, dann eilte sie am Feuer vorbei.
    Ganz hinten im Tempel führte eine Treppe zum innersten Heiligtum hinunter. Nur denjenigen, die dem Orakel dienten, war es gestattet, das unterirdisch gelegene Adytum zu betreten. Als sie hinabstieg, machte der Marmor grob behauenem Kalkstein Platz. Die Höhle war vor Urzeiten von einem Ziegenhirten entdeckt worden. Als er der Höhlenmündung nahe kam, war er unter den Einfluss von Apollos süßem Atem geraten und hatte seltsame Visionen gehabt.
    Möge das Wunder sich ein letztes Mal wiederholen.
    Das Kind wartete in der Höhle. Es trug eine weiße, viel zu große Alba und saß im Schneidersitz neben dem Dreibein aus Bronze, das den heiligen Omphalos stützte, einen hüfthohen, phallischen Stein, der den Nabel der Welt darstellte, den Mittelpunkt des Universums.
    Ansonsten gab es in der Höhle nur noch einen erhöhten Sitz, der auf drei Beinen stand. Er befand sich über einer Bodenspalte natürlichen Ursprungs.
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