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Siegfried

Siegfried

Titel: Siegfried
Autoren: Harry Mulisch
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noch der Kunst gewidmet und mit Speer den Bau meines Mausoleums an der Donau überwacht hätte, das viel größer werden sollte als das Napoleons im Invalidendom.«
    Ein schwerer Volltreffer genau über uns ließ den Bunker in dem lockeren Boden erzittern. Adi zuckte kurz zusammen und betrachtete ängstlich den in der Ecke des Zimmers herabrieselnden Kalkstaub. »Das ist jetzt alles vorbei«, sagte ich.
    »Durch Verrat, Inkompetenz und Mangel an Fanatismus«, nickte er. »Ich hätte das damals natürlich nicht sagen dürfen, denn man soll nie etwas sagen, was nicht absolut notwendig ist, aber ich habe es gesagt, und Bormann hat es seinem Freund Fegelein weitererzählt, halb besoffen natürlich. Das hätte er seinerseits auch nicht tun sollen, aber er hat es getan, und Fegelein hat es Himmler weitererzählt, dessen Verbindungsoffizier er war. Daß wir einen Sohn hatten, wußte Himmler natürlich längst, sonst hätte er als Polizist auch nicht getaugt. Und dann«, sagte Adi, »im Sommer vorigen Jahres, als alles schiefzugehen begann und diese verräterischen Schweine ein Attentat auf mich verübten, ging dein Schwager zu Himmler und sagte, er wolle deine Schwester loswerden. Eine Scheidung war natürlich ausgeschlossen, denn die Ehe war auf meinen Wunsch geschlossen worden und ich war sogar Trauzeuge gewesen. Doch für dieses Problem hatte mein verräterischer Reichsführer eine Lösung. Er ließ die Unterlagen in Geiselhöring fälschen und schlug so drei Fliegen mit einer Klappe: Fegeleins Wunsch ging in Erfüllung, aber worum es ihm eigentlich ging, war, daß Siggi das Ganze nicht überlebte, denn der stand seinen eigenen Ambitionen, mein Nachfolger zu werden, im Weg. Und ganz nebenbei konnte er auch noch die offene Rechnung mit Bormann begleichen.«
    Was geht in diesen Männern bloß vor? Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, und fragte deshalb: »Woher weißt du das alles?«
    »Von Fegelein. Als ich von Himmlers Verrat hörte, vermutete ich gleich, daß seine geplante Flucht in die Schweiz zum Ziel hatte, auch von dort aus Kontakt mit den Alliierten aufzunehmen, und ich habe ihn sofort einem verschärften Verhör unterziehen lassen.« »Und was geschieht jetzt mit ihm?«
    Er sah mich an, wobei sich seine Augen plötzlich in zwei Messer verwandelten, oder in Beile, ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. »Es ist bereits geschehen.«
    Ich senkte den Blick und dachte an Gretls Kind, das seinen Vater nie kennenlernen würde. »Ich habe«, fuhr Adi kurze Zeit später fort, »Bormann damals eine Standpauke gehalten, weil er 1930 stümperhaft gearbeitet hatte. Ich schickte ihn auf den Obersalzberg, damit er Falk den Befehl gab, Siggi zu eliminieren, und ich denke, er vermutete damals bereits, daß an der Sache etwas faul war, aber er wagte nicht, mir das zu sagen, auch nicht, nachdem dein Vater den Beweis erbracht hatte, daß die Dokumente gefälscht waren. Oder vielleicht wollte er es nicht sagen, weil er selbst auch die Illusion hatte, mein Nachfolger zu werden. Aber danach werde ich ihn nicht mehr fragen, denn es spielt keine Rolle mehr. Ich werde keinen Nachfolger haben, ich war ein Idiot zu glauben, der Nationalsozialismus könne mich überleben. Und das auch noch tausend Jahre. Alle haben mich immer unterschätzt, ich mich selbst am meisten. Alles hat mit mir angefangen, und es wird mit mir enden. Dönitz kann meinetwegen den Krempel aufräumen, das läßt mich kalt. Anstatt mir den Kopf über meinen Nachfolger zu zerbrechen, habe ich einen anderen Entschluß gefaßt, Tschapperl. Um meinen Fehler gutzumachen, werde ich dich gleich heiraten.«
    Hatte ich richtig gehört? Adolf Hitler wollte mich heiraten? Das konnte doch nicht wahr sein! Auf diese Worte hatte ich mein Leben lang gewartet! Mein Herz hüpfte vor Glück, ich richtete mich auf, und vor Freude weinend umarmte ich ihn. Während ich ihn küßte, klopfte es an der Tür, und ich sprang erschreckt auf, wie ich es in all den Jahren in dieser Situation getan hatte – aber jetzt war es eigentlich nicht mehr nötig: Nur noch kurze Zeit, und die ganze Welt würde endlich erfahren, wer ich war! Linge meldete, Generaloberst Ritter von Greim warte auf Instruktionen, woraufhin mein Verlobter sich, unterstützt von uns beiden, stöhnend erhob. Während ich noch rasch sein Haar kämmte, sagte er:
    »Noch in Hunderten von Jahren werden sich alle fragen, warum ich das tue, doch nur du weißt es.« Ich zog mich um. Am liebsten hätte ich in Weiß geheiratet,
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