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Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Titel: Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)
Autoren: Viola Di Grado
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Höhe vor ihrem Mund.
    Nicht, um die Lasagne hineinzuschieben.
    Nicht, um ihn zu küssen.
    Aus dem Munde von Livia Mega kam ein Geräusch.
    Das etwas bedeutete.
    Ein richtiges Wort.
    Ein Ja.
    Mir fiel die Flöte zu Boden.
    Sie rollte bis zu Francis, der glücklich lächelte. Sie aufhob. Und sagte: »Camelia, auf so schöne Sachen muss man besser aufpassen.«
    Ich verließ das Haus.
    Francis sagte: »Viel Spaß, Liebes!«
    Die zukünftige Frau von Francis lief mir nicht hinterher. Ich machte die Tür hinter mir zu. Und blieb direkt vor dem Haus auf der nassen Straße stehen.
    Die immer-stummen Häuser der Christopher Road hallten von Worten wider, als wären sie endlich aus ihrer Lethargie erwacht. Worten von alten Leuten, von Kindern, Erwachsenen, von ehemals Taubstummen, von Hunden und Katzen, von Papageien, von sprechenden Leguanen, von Cicciobello, der Doktorpuppe, wenn man ihr auf den Bauch drückt, von Plasma-Fernsehern, von Waschmaschinen der Firma Gagliardi. Schreie und Flüstern und Murmeln und Lieder. Ein Freudenfest aus Klängen, die an Bedeutungen erkrankt waren. Bedeutungen, die mit mir nichts zu tun hatten.
    Ich versuchte meine Nase davon zu überzeugen, den Sauerstoff reinzulassen. Es war schwer, richtig schwer, unmöglich, mich auf den Beinen zu halten. Auch aus dem Müllcontainer zu meiner Rechten kam ein heller Ton. Zitternd hob ich den Deckel. Zwei weiße Hemdchen mit sechs Ärmeln bewegten sich zu diesem Ton. Ich hob einen davon hoch.
    Zwei wunderschöne weiße Katzen, weiß und orange getigert, die nicht verwildert aussahen, paarten sich gerade. Kaum sah mich der Kater, ließ er von der Kätzin ab und warf mir voller Hass einen Blick aus seinen gelb-blauen Augen zu. Er reckte den Schwanz. Gab einen bedrohlichen Laut von sich.
    Aber ich konnte es mir nicht verkneifen, eine Hand nach seinem wunderschönen Fell auszustrecken. Ich berührte es. Er biss mich bis aufs Blut. Ich fing an zu laufen. Ein Lauf, von dem ich nicht wusste, ob er jemals enden würde. Ein Lauf, bei dem du mit Unsterblichkeit gestraft wirst, wenn du stehen bleibst. Die Afrikaner aus dem Sozialbau auf Nummer 6 verpassten ihrem Haus einen grünen Anstrich. Sie redeten, redeten, lachten. Zwei Jugendliche küssten sich in der Ecke, das Mädchen hatte herrliches rotes Haar, das ihr bis in die Kniekehlen reichte. Ab und zu wandte ich mich nach rechts oder links, ich schloss die Augen, wobei ich den Laternenpfählen auswich, oder blieb stehen, um festzustellen, ob ich noch atmete. An einem gewissen Punkt ließ ich mich vor Erschöpfung auf den Gehsteig sinken. Niemand hielt an und fragte, wie es mir ginge.
    Ich stand wieder auf und lief weiter, bis ich mich vor der Mauer der verbotenen Schönheit befand. Ich schaute mich um. Kein Schwein war da.
    Ich setzte einen Fuß auf einen hervorstehenden Ziegelstein und fing an zu klettern. Irgendwie war ich überzeugt davon, dass es das Intelligenteste war, was ich tun konnte. Ich muss es schaffen, sagte ich mir. Sagen wir, wenn ich es nicht schaffe, sterbe ich. Nein, noch schlimmer, sagen wir, wenn ich nicht hochkomme, sterbe ich nicht.
    Ich hielt mich mit aller Kraft fest und gelangte so auf die andere Seite. Ich setzte mich auf die Kante der Mauer. Die Häuser, die für mich bisher immer nur Pseudo gewesen waren, kleine Kostproben von Pultdächern und Backsteinen, von vielbeschäftigten Schornsteinen, die Gedichte aus Rauch an einen Himmel schrieben, der blauer war als der meine, waren zu richtigen Häusern mit richtigen Menschen geworden, die durch die Türen ein und aus gingen.
    Diese Offenbarung menschlichen Lebens inmitten einer schönen Umgebung hatte etwas Morbides, Utopisches. Ich schaute mir ringsum die Pflanzen von normaler Größe und normaler Farbe an, die von richtigen Menschen gegossen wurden, sah die Autos, die sich bewegten.
    Ich war so müde. Ich zog mir die Schuhe aus, die mit einem theatralischen Klacken zu Boden fielen. In wenigen Stunden hatten sie mir die Füße bereits ebenso verformt, wie es fünf Jahre Beschweren mit Steinen bei den alten Chinesinnen getan hatten.
    Erst jetzt wurde mir bewusst, dass diese Straße nichts anderes war als die Grosvenor Road.
    Das Handy klingelte.
    »Hallo, Camelia, ich bin’s, Francis.«
    Auch durch das Telefon verzerrt gelang es seiner bescheuerten Stimme, großartig zu klingen. »Du, hör mal, deine Mutter und ich fahren für ein paar Tage in meine Wohnung in York, sag mir, wo du bist, dann bring ich dir deinen
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