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Siebzehn Silben Ewigkeit - Roman

Siebzehn Silben Ewigkeit - Roman

Titel: Siebzehn Silben Ewigkeit - Roman
Autoren: dtv
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stattdessen brachte sie den Postbeamten ihre Mahlzeit. Diese ließen sich die Gelegenheit, sie auf den Arm zu nehmen, nicht entgehen und erkundigten sich, ob sie ihren Urlaub dieses Jahr in Guadeloupe verbringen wolle, ob sie auch nicht allzu eifersüchtig auf ihre Rivalin sei, ob sie bereit sei, eine Dreierbeziehung einzugehen, um sie dann darauf hinzuweisen, dass ihr Verlobter Libido sie an der Theke erwarte, wenn sie sich schön beeile, bekäme sie bestimmt ein weiteres Liebesgedicht, dieses Mal ganz für sie allein. Tania bediente sie, ohne ein Wort zu sagen, dabei war ihr anzusehen, dass sie insgeheim kochte. Als sie offenbar befand, dass sie Bilodo lange genug hatte schmoren lassen, erschien sie mit einer eisigen Miene, die ein Dutzend
Titanics
zum Sinken gebracht hätte, auf der anderen Seite der Theke, um seine Bestellung entgegenzunehmen. Was er wünsche? Eine weitere leichte Beute wie sie? Oder lieber eine schöne dumme Gans? Ein Versuchskaninchen, um ein neues Gedicht auszuprobieren? Bilodo antwortete erschüttert, sie täusche sich, er müsse mit ihr unter vier Augen sprechen, doch die Kellnerin erwiderte, das sei nutzlos, es sei alles gesagt, und warf ein zerknülltes Papier auf die Theke.
    »Da hast du dein Gedicht, Libido!«, sagte sie mit schneidender Stimme.
    Nicht nur aus der Ecke der Postbeamten, im ganzen Raum ertönte Applaus, denn Tania hatte nicht wenige Anhänger:Sämtliche Gäste beobachteten das Geschehen mit größtem Interesse. Bilodo folgte der Kellnerin bis zur Küchentür und beschwor sie leise, es sei nicht seine Schuld, das Gedicht sei nicht für sie bestimmt gewesen und hätte ihr nie überreicht werden dürfen, doch Tania fragte ihn argwöhnisch, warum er ihr das nicht am Vortag gesagt hätte, anstatt zuzulassen, dass sie sich lächerlich mache. Bilodos Gestammel beendete sie mit der Bemerkung, sie habe genug von seinen und Roberts abartigen Spielereien: Sollten sie sich doch ein anderes Opfer suchen und sie in Ruhe lassen. Dieser nachdrückliche Befehl wurde durch neuerlichen Applaus bekräftigt. Tania stürzte in Tränen aufgelöst in die Küche, woraufhin an ihrer Stelle Monsieur Martinez auf der Schwelle erschien, der Koch des Etablissements, der gute einhundertdreißig Kilo Feindseligkeit auf die Waage brachte, ganz zu schweigen von seinem Küchenmesser. Da Bilodo nichts anderes übrig blieb, als den Rückzug anzutreten, verließ er überstürzt das Restaurant, in dem er nur noch ein Entrechteter war. Er hätte sich am liebsten auf und davon gemacht und am anderen Ende der Welt verkrochen, doch die Straße schwankte unter seinen Schritten; seine Beine ließen ihn im Stich, und er musste sich, um nicht zusammenzubrechen, auf den Stufen der nächsten Treppe niederlassen. Fünf Minuten später hockte er noch immer dort und kämpfte gegen seine Bestürzung an, rang darum, wieder auf die Beine zu kommen, das bittere Gebräu aus Scham und Wut, das seinen Eingeweiden zu schaffen machte, zuverdauen, als die Postbeamten, allen voran Robert, aus dem »Madelinot« kamen. Robert ging an ihm vorüber, wobei er den trostlosen Anblick seiner Niederlage sichtlich auskostete, gefolgt von seinen Komplizen, die eine Hymne auf die exotischen Schönheiten des guadeloupischen Archipels anstimmten. Da Bilodo die Kraft fehlte, Einspruch zu erheben, senkte er den Blick und verlor sich in der Betrachtung des zerknitterten Tanka, das er noch immer in der Hand hielt   … Er sah es sich etwas genauer an und glättete es, um dann festzustellen, dass es sich nicht etwa um das Original, sondern um eine weitere Fotokopie handelte! Wie elektrisiert sprang er auf und rief Robert hinterher, der mit seinen Schergen bereits hundert Meter entfernt war. Der Postbeamte wartete gnädig darauf, dass Bilodo ihn einholte. Die Zeiten, in denen man sich in Spitzfindigkeiten erging, waren längst vergangen, weshalb Bilodo Robert lediglich aufforderte, ihm seinen Brief zurückzugeben. Der Postbeamte erwiderte sichtlich amüsiert, er habe sein beschissenes Gedicht nicht mehr, sondern es ganz einfach eingeworfen, und entfernte sich, gefolgt von seiner Meute. Bilodo blieb wie angewurzelt stehen: Das Tanka war unterwegs.
    Nach all den Unannehmlichkeiten befand er sich also wieder am Ausgangspunkt.
Enso
.

17
    Das Tanka reiste unaufhaltsam zu Ségolène, somit waren jegliche Überlegungen hinfällig. Roberts Machenschaften, Tanias Kummer, die Post, Leben, Tod, nichts von alledem war für Bilodo noch von Bedeutung. Hatte sie das
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