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Sieben Siegel 09 - Tor zwischen den Welten

Sieben Siegel 09 - Tor zwischen den Welten

Titel: Sieben Siegel 09 - Tor zwischen den Welten
Autoren: Kai Meyer
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würde auch das verschwunden sein. Kyra musste sich beeilen, sonst würde die Nacht sie auf dem Weg zum Burgfelsen einholen. Sie bezweifelte, dass auf dieser Strecke, so weit abseits vom Dorf, Straßenlaternen standen, und eine Taschenlampe hatte sie auch nicht dabei.
    Sie nahm die Abzweigung von der Dorfstraße, beeilte sich, die Senke zwischen den dichten Bäumen hinter sich zu bringen, und gelangte schließlich auf die weiten Wiesen oberhalb der Klippen. Deutlich zeichnete sich vor dem diffusen Abenddämmer der Turm der einsamen Kirche ab, davor das Gewirr der Grabsteine.
    Kyra erreichte die Friedhofsmauer und dachte einmal mehr, wie groß doch die Ähnlichkeit zu Giebelstein war; ganz kurz fragte sie sich sogar, ob dies wohl ein Zufall war oder ob mehr dahinter steckte. War es ihr Schicksal gewesen, hierher zu kommen?
    Es ging schneller, den Weg über den Friedhof zu nehmen, statt die Kirche zu umrunden. Ihr Blick fiel auf einen moosbewachsenen Grabstein, an dem man einen alten, brüchig gewordenen Rettungsring befestigt hatte – die Inschrift verriet, dass hier ein namenloser Schiffsjunge begraben lag, dessen Boot im neunzehnten Jahrhundert an den Klippen zerschellt war.
    Als Kyra wieder aufschaute, war sie nicht mehr allein.
    Vor ihr – verteilt auf dem dunklen Friedhof, nur filigrane Umrisse vor dem letzten Licht des Tages – standen sechs Frauen. Keine Hexen, das erkannte sie sofort; zumindest nicht solche, die sie aus den Reihen des Arkanums kannte.
    Alle sechs hatten hüftlanges blondes Haar, das wie Umhänge aus Blattgold auf den Winden tanzte. Sie trugen weite Gewänder aus halb durchsichtigem, schneeweißem Stoff, so leicht gewebt, dass es Nebelfetzen hätten sein können, die ihre schlanken Körper umschwebten. Die Frauen waren wunderschön, auf eine Art, die sich von der Eleganz der Arkanumhexen unterschied wie der Tag von der Nacht. Genau so hatte Kyra sich die Feen vorgestellt, von denen Tante Kassandra ihr erzählt hatte, als Kyra noch kleiner war. Geisterhaft schön und geheimnisvoll, nicht von dieser Welt.
    Eine der Erscheinungen stieß ein merkwürdiges Zischen aus. Es klang, als käme es von einem Reptil, nicht aus dem Mund einer Frau.
    Und dann kamen sie näher, schwebten zwischen den Grabsteinen auf Kyra zu, in einem weiten Halbkreis, der sich allmählich hinter ihr zu schließen drohte.
    Kyra warf instinktiv einen Blick auf ihren Unterarm. Dort sah sie die Siegel, wie eingebrannt in ihre Haut.
    Sie wirbelte herum, sprang zwischen zwei uralten Monumenten hindurch und entging knapp den ausgestreckten Händen einer der Erscheinungen, die schlagartig neben ihr aufgetaucht war.
     

Ganz zweifellos waren es Morganas Dienerinnen, mit denen es Kyra hier zu tun hatte. Die Frau im Museum hatte sie gewarnt. Und sie hatte Recht behalten. Morgana le Fey war hinter ihr her.
    Das reptilienhafte Zischen wiederholte sich jetzt aus allen Richtungen. Die Frauen nahmen die Verfolgung auf. Im schwindenden Abendlicht sah Kyra ihre Körper unter den durchsichtigen Gewändern schimmern. Wasser perlte über ihre Haut, ohne dabei den Stoff zu durchnässen.
    Wassergeister!, durchfuhr es sie unvermittelt. Nymphen!
    Sie hechtete über die niedrige Friedhofsmauer und sah zu ihrer Verblüffung, dass ihre unheimlichen Verfolgerinnen geradewegs durch den Stein hindurchschwebten, so als wäre er überhaupt nicht vorhanden. Dort, wo ihre Körper das Mauerwerk berührten, lösten sie sich blitzartig in Wasser auf, das sich seinen Weg durch die haarfeinen Risse im Gestein suchte, um auf der anderen Seite wieder zu magischem Fleisch zu gerinnen.
    Das Zischen folgte Kyra wie ein Insektenschwarm, der angriffslustig um ihre Ohren schwirrte. Ihr wäre es lieber gewesen, die Nymphen hätten ihr Drohungen oder Verwünschungen nachgerufen – alles war besser als diese unmenschlichen Laute, die klangen, als würden sie von etwas ausgestoßen, das mit Vorliebe junge Mädchen fraß. Und vielleicht war diese Einschätzung gar nicht mal so falsch.
    Kyra lief noch schneller, tiefer in die Dunkelheit. Die Nymphen hatten ihr den Weg zur Halbinsel abgeschnitten, es gab keine Möglichkeit mehr, Schutz beim Professor und den anderen Wissenschaftlern zu suchen. Aber sie bezweifelte ohnehin, dass ein Mensch ihr gegen diese Wesen beistehen konnte. Wer durch Stein ging wie durch einen Regenschauer, der ließ sich gewiss nicht von ein paar träge gewordenen Forschern aufhalten.
    Kyra rannte jetzt in südlicher Richtung über die Klippen. Zu ihrer
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