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Sieben Siegel 05 - Schattenengel

Sieben Siegel 05 - Schattenengel

Titel: Sieben Siegel 05 - Schattenengel
Autoren: Kai Meyer
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berühren, und ich euch nicht. Das ist das Los von uns Ausgestoßenen. Wir existieren nicht ganz in dieser, aber auch in keiner anderen Welt.«
    »Du meinst«, sagte Kyra, »wenn ich dir das Haupt jetzt in die Hände lege –«
    »Würde es geradewegs durch sie hindurchfallen«, führte der Engel den Satz für sie zu Ende.
    »Und wahrscheinlich am Boden zerschmettern.«
    »Wie sollen wir dir das Ding dann geben?«, fragte Chris ratlos.
    »Es gibt eine Möglichkeit«, sagte Azachiel. »Der Herr hat uns eine Gnade gewährt. Es gibt einen Ort, an dem wir körperlich in Kontakt mit euch Menschen treten können.«
    »Und dieser Ort ist zufällig hier auf der Insel?«, fragte Nils lakonisch.
    »Im Schatten einer Kirche«, sagte Azachiel. »Nur im Schatten einer Kirche kann ich das Haupt von Lachis entgegennehmen. Und es gibt eine Kirche hier auf der Insel.«
    »Wir waren gerade unterwegs dorthin«, sagte Kyra.
    »Das ist gut«, erwiderte der Engel zufrieden. »Dort könnt ihr mir das Haupt übergeben.« Er verstummte für einen Moment, dann setzte er hinzu: »Und vielleicht kann ich euch dann vor Uriels Schergen retten.«
    Lisa versuchte erneut, in seinem Gesicht zu lesen, aber da hatte sich Azachiel schon umgedreht und ging voraus, geradewegs auf das Klippendorf zu. Jenseits der Regenschwaden war die verlassene Ortschaft kaum mehr als ein finsterer Umriss, ein monströser, formloser Buckel aus uraltem Stein.
    Menschenleer, vergessen.
     
    Als Professor Rabenson mit Castel an der Wetterstation eintraf, war bereits abzusehen, dass das Unwetter jeden Augenblick mit aller Macht über die Insel hereinbrechen würde.
    Tropfend und frierend drängten sie ins Innere. Castel drückte auf einen Knopf, und irgendwo sprang surrend eine Heizung an.
    Der Franzose deutete auf das Funkgerät, an dem eine einzelne Lampe glühte. Aus dem Lautsprecher klang leises Rauschen, das ebenso gut vom Regen auf dem Dach der Wetterstation hätte herrühren können.
    Castel beugte sich als Erstes über seine Wetterinstrumente, Schaltpulte und Computermonitore. Es war erstaunlich, dass er mit seinen zitternden Fingern noch die Kontrolle über die komplizierten Gerätschaften behielt.
    »Was ist das?«, fragte der Professor, als er einen Blick über die Schulter des Franzosen warf.
    Auf einem Bildschirm war ein Umriss zu erkennen, eine Computergrafik der Insel. Das Bild flimmerte leicht, wahrscheinlich auf Grund des Gewitters. Dennoch war deutlich zu erkennen, dass sich von Süden her etwas näherte. Noch befand es sich weit über dem Meer, nahezu im Zentrum des tobenden Unwetters.
    Castel beugte sich tiefer über den Monitor.
    »So was hab ich hier noch nie gesehen.«
    Es waren acht winzige Punkte, kleine glühende Pixel auf dem Bildschirm, angeordnet in Form einer Pfeilspitze. Es sah aus wie ein Konvoi von Düsenjägern, die in starrer Kampfformation auf die Insel zurasten. Nur dass sie langsamer waren. Und kleiner.
    Dem Professor wurde heiß und kalt zugleich.
    »Könnten das Schiffe sein? Oder Flugzeuge?«
    »Bei dem Wetter?« Castel lachte meckernd. »Sie belieben zu scherzen, werter Professor.«
    »Was dann?«
    Castel schwieg. Er wusste darauf keine Antwort.
    Professor Rabenson ballte beide Fäuste, bis die Knöchel weiß hervortraten.
    Es darf nicht sein, dachte er verzweifelt. Nicht jetzt!
    Verdammt noch mal, es darf einfach nicht sein!

Raguel lächelt
    Als sie die Kirche erreichten, war der Himmel fast schwarz. Der Regen prasselte ohne Unterlass, und der Wind riss ihnen die Worte von den Lippen. Wenn sie miteinander sprechen wollten, mussten sie brüllen, um sich verständlich zu machen.
    Zu ihrem Erschrecken stellte sie das dämmrige Halblicht des Unwetters vor ein unerwartetes Problem: Die Kirche warf keinen Schatten.
    »Das darf doch nicht wahr sein!«, entfuhr es Kyra. Mit weit aufgerissenen Augen blickte sie auf die kleine weiße Kirche, von deren Dachkante das Regenwasser herabrauschte wie von einem Wasserfall.
    Auch die anderen wurden stocksteif vor Schreck.
    »Kein Schatten«, rief Chris, obgleich alle das längst selbst erkannt hatten. Das Licht reichte dafür einfach nicht aus.
    »Wartet!«, schrie plötzlich Azachiel, und noch im selben Moment lösten sich seine Füße vom Boden.
    Der Engel schwebte geradewegs in die Höhe, ganz ohne Flügel oder sonstige Hilfsmittel. Er streckte nicht mal die Arme aus oder ruderte mit den Füßen wie ein Taucher beim Aufstieg aus der Tiefe. Nein, Azachiel flog einfach. Es sah so simpel aus, als
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