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Sieben Siegel 03 - Die Katakomben des Damiano

Sieben Siegel 03 - Die Katakomben des Damiano

Titel: Sieben Siegel 03 - Die Katakomben des Damiano
Autoren: Kai Meyer
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Halluzinationen?
    Aber nein, er täuschte sich nicht. Wie ein kleines Kind streckte ihm der Gargoyle die Zunge heraus und machte dabei meckernde Geräusche. Sein grauhäutiger Oberkörper wippte weiterhin vor und zurück.
    Chris drehte sich langsam herum. Wenn er jetzt davonlief, würde er mit leeren Händen zu seinen Freunden zurückkehren – und dann würden sie alle sterben. Also konnte er sein Leben auch gleich aufs Spiel setzen. Wenn es ihm nur irgendwie gelänge, an dem Monster vorbeizulaufen, weiter geradeaus in den nächsten Korridor. Wenn er dabei vielleicht sogar die Vespa vom Boden zerren konnte, sie starten und – Der Gargoyle zog die Zunge mit einem schlürfenden Laut zurück. Sein Grinsen wurde breiter und breiter, bis es sich fast von einem Ohr zum anderen spannte. Seltsamerweise sah er dabei nicht wirklich bedrohlich aus, eher lächerlich.
    Chris erinnerte sich an einen Wasserspeier im Park, der ganz ähnlich ausgesehen hatte. Zugleich fiel ihm ein, dass Doktor Richardson ihm vor zwei Tagen erklärt hatte, dass nicht alle Wasserspeier auf Kathedralen und Kirchen bedrohlich aussahen – manche waren regelrechte Spaßmacher, die Grimassen schnitten und dem Betrachter eine Nase drehten.
    Waren gar nicht alle Gargoyles im Keller des Klosters böse und blutrünstig? Gab es genauso welche, die einfach nur darauf aus waren, Streiche zu spielen, auf dem geistigen Niveau von Schimpansen?
    Das alles waren völlig neue Gedanken, und Chris brauchte eine Weile, ehe er endlich einen Entschluss fasste.
    Langsam setzte er sich in Bewegung. Er machte nicht erst den Versuch, den Gargoyle zu umrunden. Stattdessen ging er geradewegs auf ihn zu – und auf die Vespa, die unmittelbar vor ihm am Boden lag.
    Das Wippen des Wesens blieb ruhig und gleichmäßig. Ein leises Gurren drang zwischen seinen zusammengepressten Lippen hervor, wie von einer Taube. Sein freches Grinsen blieb unverändert, seine Augen folgten jeder von Chris’ Bewegungen.
    »Ganz brav«, flüsterte Chris, so, als nähere er sich einem Wachhund.
    Der Gargoyle legte aufmerksam den Kopf schräg. Seine bernsteinfarbenen Augen blitzten schalkhaft.
    »Bleib schön sitzen«, murmelte Chris, hauptsächlich um sich selbst zu beruhigen. »Braver Kerl, ganz, ganz brav …«
    Nur noch ein guter Meter trennte ihn von dem grinsenden Wesen. Hinter dem Gargoyle bewegte sich etwas. Ein langer Eidechsenschwanz. Der Gargoyle wedelte damit wie ein Hund, dem man einen Knochen hinhielt.
    Freute er sich, weil Chris ein so appetitlicher Happen war? Oder gefiel ihm der beruhigende Tonfall, in dem er zu ihm sprach?
    Chris fasste den Lenker der Vespa mit beiden Händen und richtete den Roller langsam auf.
    Vor und zurück wippte der Gargoyle. Vor und zurück.
    Chris schluckte, als er vorsichtig ein Bein über den Sattel schwang. Dabei ließ er das Wesen nicht aus den Augen.
    Unendlich sachte tasteten seine Finger nach dem Zündschlüssel.
    Der Gargoyle zwinkerte ihm mit dem rechten Auge zu. Die Außenseite seines Lides war farbig gezeichnet, schillerte wie der Panzer eines Käfers im Sonnenlicht.
    Was für sonderbare Wesen!, dachte Chris, teils fasziniert, teils angstvoll. Wo, zum Teufel, war Damiano nur auf sie gestoßen? Hatten sie schon zu Zeiten der Etrusker dort unten gehaust, vor mehr als zweitausend Jahren? Oder sogar noch früher?
    Ihm war klar, dass er darauf keine Antwort finden würde. Manche Wunder musste man einfach als solche akzeptieren. Schluss, aus.
    Er hielt die Luft an und drehte den Schlüssel herum. Der Motor tuckerte los. Chris duckte sich instinktiv im Sattel, um einem möglichen Angriff des Gargoyles auszuweichen.
    Doch die Kreatur dachte gar nicht daran, Chris zu attackieren. Sie zuckte beim Geräusch des Motors erschrocken zusammen, nahm aber dann wieder ihr zermürbendes Wippen auf.
    Er hat Angst, dachte Chris überrascht. Er will es nicht zeigen, aber er fürchtet sich vor dem Lärm.
    Dann tat Chris etwas, das er selbst nicht recht verstand. Es war wie ein Instinkt, etwas, das er einfach tun musste.
    Er löste die Hände vom Lenker und streckte beide Zeigefinger aus. Dann steckte er sie sich ganz langsam in die Ohren, so, dass der Gargoyle genau dabei zusehen konnte. Er kam sich dabei ziemlich verrückt vor.
    Die Kreatur stieß ein leises Gackern aus und grinste wieder. Ihre langen Klauenhände hatten bisher ineinander verschlungen im Schoß gelegen. Jetzt aber hob sie sie hoch und betrachtete neugierig ihre Zeigefinger. Die Krallen waren kurz
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