Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sieben Leben

Sieben Leben

Titel: Sieben Leben
Autoren: A Aschberg
Vom Netzwerk:
deutlich besser, als bei der Graue-Maus-Strategie. Denn auch
wenn ich bislang nicht über das Vordiplom hinausgekommen war, hatte es sich
doch bis zu mir herumgesprochen, das es siebenmal effizienter ist, einen
Stammkunden zu penetrieren, als einen Neukunden gewinnen zu müssen.
    "Die anderen brauchen noch einen Moment", ließ
Spock mich wissen. Es klang, wie wenn die Anderen sich damit eines
mittelschweren Verbrechens schuldig gemacht hätten und ich der Einzige war, der
den Betrieb nicht unnötig aufzuhalten gedachte. Schriftsteller haben feine
Ohren für solche Nuancen. Mir konnte es recht sein. Meine Strategie in Sachen
Produktmarketing - mit mir als Produkt - schien aufzugehen.
    Die Gruppe erschien mir auf den ersten Blick ziemlich
chaotisch, obwohl es sich um erfahrene Leute handeln mußte. Alle so zwischen
Vierzig und Fünfzig, aber ohne die Aura der Souveränität, die man in diese
Altersklasse erwartete, wenn es um die Besetzung einer Führungsposition ging.
Zwei oder drei vielleicht etwas jünger. Ich fiel mit meinen 26 Lenzen auf jeden
Fall aus dem Rahmen.
    Mir gegenüber in der Runde hatte ein rotblonder Typ mit
Sommersprossen Platz genommen, der ebenfalls aus dem Rahmen fiel. Vielleicht
war es ja sein erstes Assessment. Und seinen Kafka hatte er auch nicht gelesen.
Sonst hätte er kaum den Vaux pas begangen, hier ganz in Grau zu erscheinen.
Peinlich. Wo kamen wir denn hin, wenn die Delinquenten in Wärter-Uniform
herumliefen? Sommersprossen hin, Sommersprossen her. Alle anderen hatten diese
erste Assessment-Aufgabe besser gemeistert und trugen dezente Kombinationen aus
dem beige-braunen Spektrum oder dunkle Anzüge mit bunten Krawatten.
Unauffällig, aber mit individueller Note, und sorgsam darauf bedacht, sich in
punkto Kleiderordnung jeder plumpen Anbiederung zu enthalten. Ich selbst hatte
einen lässigen Rolli unter mein Sakko gezogen.
    Mir war klar, dass ich die Beiträge dieses sommersprossigen
Vogels besonders sorgsam dokumentieren mußte. So wie ich das sah, würde sein
Feedback-Gespräch am Ende des Tages eine schmerzhafte Angelegenheit werden - da
müßte er fachlich schon Wunderdinge vollbringen, um diesen Schnitzer noch
auszugleichen. Und selbst dann hätte ich nicht meine Hand für ihn ins Feuer
gelegt. Wie auch immer, meine Auftraggeber wollten genau für solche Fälle von
hoffungsloser stilistischen Inkompetenz mit handfesten Argumenten versorgt
werden. Ein gutes Assessment zeigt sich schließlich an der Qualität seiner
Feedback-Gespräche. Gerade bei den Absagen.
    Die Diskussion in der Gruppe kam nicht recht vom Fleck.
Immer wenn einer der Kandidaten die Zügel in die Hand nehmen wollte,
verweigerte sich der Rest mit erstaunlicher Standhaftigkeit. So leicht wollte
man einem Konkurrenten keine Pluspunkte in Sachen Leadership überlassen. Leider
kam die Gruppe auch nicht auf die Idee, gemeinschaftlich in Sachen Teamwork zu
punkten. Ich fürchtete, dass nach Ablauf der vorgesehenen 45 Minuten die
Metaplan-Wand mit der Ergebnispräsentation noch genauso aussehen würde wie
jetzt. Leer.
    Für mich und meine Profilierungsstrategie war das eine
undankbare Konstellation, wenn es so gar nichts zum Mitschreiben gab. Bislang
hatte noch niemand einen Beitrag geleistet, der auch nur eine Fußnote wert
gewesen wäre.
    "Wie wäre es denn, wenn jeder seinen wichtigsten
Gedanken in drei Worten auf eine Karte schreibt?", fragte ich in die
Runde, als sich die Gruppe mal wieder gegenseitig in eine Patt-Situation manövriert
hatte. "Die Karten pinnen wir dann an die Metaplan-Wand", schlug ich
vor.
    Mehrere Augenpaare starrten mich ungläubig an. Mir war‘s
egal. Ich mußte schließlich eine gute Arbeit abliefern, wenn ich auf
Folgeaufträge spekulierte. Da brauchte ich schon ein bißchen Input! Die Bank
hatte ein ziemlich großes Budget für Freelancer, wie ich aus sicherer Quelle
erfahren hatte.
    Niemand rührte sich. Aber es widersprach auch niemand. Zum
ersten Mal seit zwanzig Minuten! Fast schon ein gemeinschaftliches
Erfolgserlebnis.
    "Ich fange einfach mal an", sagte ich, schnappte
mir eine Karte, beschriftete sie mit " Unsere wichtigsten Gedanken "
und pinnte sie an die Wand. Ich war ja zu absoluter Neutralität verpflichtet,
und diese Karte erschien mir harmlos genug. War sie wohl auch. Mein Vorstoß
brachte jedenfalls das langersehnte Leben in die Gruppe. Keine fünf Minuten
später hatte jeder der Herrschaften mindestens einen eindrucksvoll klingenden
Gedanken zu Papier gebracht, den er anpinnte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher