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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre
Autoren: Peter Stamm
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langer Zeit eine Dauerwelle machen lassen, aber die Frisur hatte ihre Form verloren, und die Haare hingen ihr ins Gesicht. Ihre Kleidung wirkte ältlich und billig. Sie trug einen braunen Rock aus Manchesterstoff, eine gemusterte Bluse in stumpfen Farben und um den Hals ein Foulard. Ihre Nase war gerötet, und vor ihr auf dem Tisch lagen ein paar zerknüllte Papiertaschentücher. Während ich die Frau noch betrachtete, schaute sie von ihrem Buch auf und unsere Blicke trafen sich. Ihr Gesicht verzog sich zu einem gequälten Lächeln, und in einer Art Reflex lächelte ich auch. Sie schlug die Augen nieder, aber selbst ihre Schüchternheit wirkte unangemessen und auf unsympathische Art kokett.
    Die Herzen der Frauen fliegen ihm zu, sagte Ferdi. Die kriegt er nicht, sagte Rüdiger. Wollen wir wetten? Noch bevor ich antworten konnte, sprach er weiter. Ich wette, die kriegst du nicht rum. In seinen Augen war jetzt ein trauriger Ausdruck. Ich sagte, die nähme ich nicht mal geschenkt. Das wollen wir doch mal sehen, sagte Ferdi und stand auf. Die Frau schaute wieder zu uns herüber. Als sie merkte, dass Ferdi auf sie zukam, nahm ihr Gesicht einen zugleich ängstlichen und erwartungsvollen Ausdruck an. Ist der verrückt, stöhnte ich und wandte mich ab. Die Angelegenheit war mir jetzt schon peinlich. Ich schaute mich nach der Kellnerin um. Du wirst doch jetzt nicht kneifen, sagte Rüdiger, zeig, dass du ein Mann bist. Das bringt doch nichts, sagte ich und streckte die Beine aus. Meine gute Laune war verschwunden, ich fühlte mich nutzlos und schäbig und ärgerte mich über mich selbst. Es war mir, als träten die Stimmen und das Gelächter in den Hintergrund und als höre ich durch den gedämpften Lärm hindurch ganz deutlich das Geräusch von Schritten im Kies, die sich uns näherten.
    Das ist Iwona aus Polen, sagte Ferdi. Und das sind Rüdiger und Alexander. Er stand hinter mir, ich musste fast senkrecht zu ihm hochschauen. Setz dich, sagte Ferdi. Die Frau stellte ihr Glas auf den Tisch und legte die Papiertaschentücher und das Buch daneben, ein Liebesroman mit buntem Umschlag, auf dem vor stürmischem Himmel ein Mann und eine Frau auf einem Pferd zu sehen waren. Sie setzte sich zwischen mich und Rüdiger. Sie saß da, die Hände im Schoß und mit sehr geradem Rücken. Unruhig schaute sie zwischen uns hin und her. Ihre Haltung war verkrampft, dabei hatte ihre ganze Erscheinung etwas Lasches, Kraftloses. Sie sah aus wie jemand, der jede Hoffnung aufgegeben hat, irgendwem zu gefallen, und sei es sich selbst.
    Schönes Wetter, sagte Rüdiger und lachte ungläubig und etwas verlegen. Ja, sagte Iwona. Aber heiß, sagte Ferdi. Iwona nickte. Ich fragte, ob sie erkältet sei. Sie habe Heuschnupfen, sagte sie. Sie sei allergisch auf alle möglichen Pollen. Auf alle möglichen Polen?, fragte Ferdi, und Rüdiger lachte dämlich. Auf Staub von Gräsern, sagte Iwona, ohne das Gesicht zu verziehen. So ging das weiter. Ferdi und Rüdiger stellten ihr dumme Fragen, und sie antwortete, als merke sie nicht, wie die beiden sich über sie lustig machten. Sie schien sich im Gegenteil über das Interesse zu freuen und lächelte nach jeder ihrer einsilbigen Antworten. Sie komme aus Posen, sagte sie. Ich habe gemeint aus Polen, sagte Rüdiger. Posen ist eine Stadt in Polen, erwiderte Iwona geduldig. Ihr Deutsch war fast akzentfrei, aber sie sprach vorsichtig und langsam, als sei sie ihrer Sache nicht sicher. Sie sagte, sie arbeite in einer Buchhandlung. Sie wolle ihr Deutsch verbessern und mit dem Geld, das sie verdiene, unterstütze sie ihre Eltern. Ihr Vater sei Invalide, was ihre Mutter verdiene, reiche vorn und hinten nicht.
    Iwona war mir vom ersten Moment an unangenehm. Sie tat mir leid, gleichzeitig ärgerte mich ihre lammfromme, geduldige Art. Statt Ferdi und Rüdiger zu bremsen, war ich nahe daran, ihr grausames Spiel mitzuspielen. Iwona schien das geborene Opfer zu sein. Als Ferdi sagte, wir hätten uns mit zwei Frauen im Englischen Garten verabredet, ob Iwona nicht Lust habe mitzukommen, wollte ich protestieren, aber was hätte ich sagen können? Iwona zögerte. Um vier beim Monopteros, sagte Ferdi und wandte sich uns zu. Wollen wir gehen?
     
    Wir waren pünktlich beim Treffpunkt. Die beiden Mädchen kamen kurz nach uns, nur von Iwona war nichts zu sehen. Die kommt nicht, sagte ich, Gott sei Dank. Wer kommt nicht?, fragte eines der Mädchen. Die Freundin von Alex, sagte Ferdi und zu mir gewandt, warte du auf sie, du weißt ja, wo wir
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