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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre
Autoren: Peter Stamm
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frühere Leben keine Spuren hinterlassen außer in den Fotoalben in ihrem Bücherregal, die sie nie hervornahm. Wenn ich die Bilder anschaute, war es mir, als stammten sie aus einer weit zurückliegenden Zeit, aus einem anderen Leben. Manchmal fragte ich Sonja nach ihrer Zeit mit Rüdiger, dann gab sie einsilbige Antworten. Sie frage mich ja auch nicht, was ich getrieben habe, bevor wir zusammen gewesen seien. Es macht mir nichts aus, sagte ich. Jetzt gehörst du ja mir. Aber Sonja schwieg beharrlich. Ich fragte mich manchmal, ob sie einfach nichts zu erzählen hatte.
    Antjes Lächeln hatte sich verändert, jetzt wirkte es spöttisch. Ihr Männer wollt immer die Eroberer sein, sagte sie. Versuch es von der positiven Seite zu sehen. Sie hat die Optionen geprüft und sich für dich entschieden.
    Der Wagen hinter mir hupte, und ich fuhr so ruckartig los, dass die Reifen quietschten. Und was hast du für eine Rolle gespielt in dem Ganzen?, fragte ich. Kannst du dich an die erste Nacht erinnern, die ihr bei mir verbracht habt?, sagte Antje. Sonja ist früh schlafen gegangen, und wir haben zusammen meine Bilder angeschaut. Da hatte ich größte Lust, dich zu verführen. Du hast mir gefallen, ein hübscher kleiner Student. Stattdessen habe ich dich an der Nase herumgeführt und dir erzählt, Sonja sei verliebt in dich. Und ihr habe ich am nächsten Tag gut zugeredet. Warum hast du das gemacht? Antje zuckte mit den Schultern. Nimmst du es mir übel? Die Frage klang ganz ernsthaft. Aus Spaß, sagte sie dann, ich habe dich verteidigt. Da war irgendeine Sache mit einer anderen Frau, einer Ausländerin, glaube ich. Das müsstest du doch am besten wissen. Iwona, sagte ich und seufzte, das ist eine lange Geschichte.

Sc hon seit Stunden saß ich mit Ferdi und Rüdiger in einem Biergarten in der Nähe des Englischen Gartens. Es war ein heißer Julinachmittag, und das Licht war blendend weiß. Zehn Tage zuvor hatten wir unsere Diplomarbeiten abgegeben, in einer Woche mussten wir die Projekte vorstellen. Bis dahin blieb uns nicht viel mehr zu tun, als die Zeit zu vertreiben und uns gegenseitig Mut zu machen. Wir hatten alle drei das allgemeine Thema gewählt, ein Museum der Moderne auf einem Areal am Rand des Hofgartens, und jetzt skizzierten wir unsere Lösungen und schoben unsere Zeichenblöcke hin und her. Wir diskutierten laut und genossen es, wenn die anderen Gäste sich nach uns umdrehten. Rüdiger sagte, mein Entwurf erinnere ihn an Aldo Rossi. Ich war beleidigt und sagte, er habe keine Ahnung. Es gibt schlimmere Vorbilder als die alten Meister, meinte Ferdi, aber Alex will mit jedem Entwurf die Architektur neu erfinden. Dann erklär mir, was das mit Rossi zu tun hat, sagte ich und zeichnete eine Ansicht meines Baus und schob sie über den Tisch. Aber Rüdiger war schon anderswo. Er sprach über den Dekonstruktivismus, sagte, der Architekt sei der Psychotherapeut der reinen Form und ähnlichen Unsinn.
    Zwei Mädchen hatten sich an unseren Tisch gesetzt. Sie trugen leichte Sommerkleider und waren auf uninteressante Weise hübsch. Nach einer Weile verwickelten wir sie in ein Gespräch. Eine der beiden arbeitete in einer Werbeagentur, die andere studierte Kunstgeschichte oder Ethnologie oder etwas in der Art. Es war ein verspieltes Gespräch, das nur aus einzelnen Sätzen bestand, aus Scherzen und Erwiderungen, die nirgendwohin führten. Als die Mädchen bezahlten, schlug Ferdi vor, wir sollten alle zusammen in den Englischen Garten gehen. Sie zögerten kurz und besprachen sich leise, dann sagte die Werberin, sie hätten noch etwas vor, aber wir könnten uns später treffen beim Monopteros. Im Gehen steckten sie die Köpfe zusammen, und nach ein paar Metern drehten sie sich noch einmal nach uns um und winkten uns lachend zu.
    Die Blonde gehört mir, sagte Ferdi. Die Braune ist viel hübscher, sagte Rüdiger. Aber die Blonde hat den schöneren Busen, sagte Ferdi. Du dekonstruierst schon wieder, sagte Rüdiger. Zwei Frauen für uns drei, das geht nicht auf. Ferdi schaute mich an. Du musst dir selbst eine beschaffen. Warum ich?, protestierte ich. Ferdi grinste. Du bist der Hübscheste von uns. Die da drüben beobachtet uns schon die ganze Zeit.
    Ich wandte mich um und sah ein paar Tische weiter im Schatten einer der großen Linden eine lesende Frau. Sie musste ungefähr in unserem Alter sein, aber sie war vollkommen reizlos. Ihr Gesicht war verquollen, ihr Haar aufgelöst und weder kurz noch lang. Vermutlich hatte sie sich vor
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