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Sie

Titel: Sie
Autoren: Stephen King
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Schwierigkeiten, dachte er und starrte blind zur Decke hinauf, während sich auf seiner Stirn wieder Schweißtropfen bildeten.

9
    Am nächsten Morgen brachte sie ihm wieder Suppe und teilte ihm mit, dass sie vierzig Seiten von dem gelesen hatte, was sie sein »Manuskript-Buch« nannte. Sie sagte ihm, sie fände es nicht so gut wie seine anderen Bücher.
    »Man kann nur schwer folgen. Es springt immer in der Zeit hin und her.«
    »Technik«, sagte er. Er befand sich irgendwo zwischen »Schmerzen« und »keine Schmerzen«, daher konnte er ein wenig besser über das nachdenken, was sie sagte. »Technik, das ist alles. Das Thema … das Thema diktiert die Form.« Auf unbestimmte Weise ging er davon aus, dass solche Tricks des Schreibens sie interessieren, vielleicht sogar faszinieren würden. Gott, er wusste, sie hatten die Teilnehmer der Schriftsteller-Workshops fasziniert, die er ab und zu abgehalten hatte, als er noch jünger war. »Sehen Sie, der Verstand des Jungen ist verwirrt, und daher …«
    »Ja! Er ist sehr verwirrt, und das macht ihn weniger interessant. Nicht un interessant - ich bin mir sicher, Sie könnten sich gar keine un interessante Person ausdenken -, aber weniger interessant. Und dann die Sprache! Jedes zweite Wort ist ein unanständiges Wort! Es hat …« Sie sprach unaufhörlich, während sie ihm die Suppe automatisch einflößte und, wenn er kleckerte, fast ohne hinzusehen sein Kinn abwischte, wie eine erfahrene Sekretärin es nicht nötig hat, auf die Tastatur der Schreibmaschine zu sehen; daher begriff er ohne Mühe, dass sie Krankenschwester gewesen war. Keine Ärztin, o nein; eine Ärztin hätte nicht gewusst, wann er kleckern würde, sie hätte auch nicht so exakt vorhersehen
können, welchen Weg die herabtropfende Suppe nehmen würde.
    Wenn der Meteorologe, der diesen Sturm vorhergesagt hat, in seinem Job nur halb so gut gewesen wäre, wie Annie Wilkes in ihrem ist, dann wäre ich jetzt nicht in dieser verfluchten Scheißlage, dachte er verbittert.
    »Es hat keine Noblesse! «, schrie sie plötzlich, sprang auf und schüttete ihm beinahe die Rindfleischsuppe in sein blasses, nach oben gerichtetes Gesicht.
    »Ja«, sagte er geduldig. »Ich verstehe, was Sie meinen, Annie. Es ist richtig, dass Tony Bonasaro keine Noblesse hat. Er ist ein Junge aus dem Slum, der versucht, aus seiner schlimmen Umgebung herauszukommen, verstehen Sie, und was diese Worte anbelangt … jeder benutzt diese Worte in …«
    »Ganz sicher nicht! «, sagte sie und bedachte ihn mit einem unfreundlichen Blick. »Was, glauben Sie, mache ich, wenn ich in die Futtermittelhandlung in der Stadt gehe? Was glauben Sie, was ich dort sage? ›Komm, Tony, gib mir eine Tüte von diesem verdammten Schweinefutter und dazu einen Sack verhurten Futtermais und etwas von dieser abgewichsten Medizin gegen Ohrmilben‹? Und was denken Sie, antwortet er mir? ›Hast verflucht recht, Annie, komm her, verflucht noch mal‹?«
    Sie sah ihn an, und inzwischen sah ihr Gesicht aus wie ein Himmel, aus dem jeden Augenblick Tornados hervorbrechen konnten. Er legte sich verängstigt zurück. Die Suppenschüssel zitterte in ihren Händen. Einer, dann zwei Tropfen fielen auf die Decke.
    »Und gehe ich dann die Straße hinunter zur Bank und sage zu Mrs. Bollinger: ›Hier ist ein verdammt großer Scheißkerl
von’nem Scheck, und Sie geben mir jetzt besser fünfzig beschissene Dollars, so abgewichst schnell Sie nur können‹? Glauben Sie, als sie mich dort in den Zeugenstand schleppten, oben in Den…«
    Ein Strahl schlammfarbener Rindfleischsuppe ergoss sich auf die Decke. Sie sah den Fleck an, dann ihn, und ihr Gesicht verzerrte sich. »Da! Sehen Sie, was wegen Ihnen passiert ist!«
    »Tut mir leid.«
    »Na sicher!«, kreischte sie und schleuderte die Schüssel in eine Ecke, wo sie zerschellte. Suppe spritzte an der Wand empor. Er rang nach Luft.
    Da schaltete sie ab. Sie saß vielleicht dreißig Sekunden einfach nur da. Während dieser Zeit schien Paul Sheldons Herz überhaupt nicht zu schlagen.
    Sie erwachte nach und nach wieder zum Leben, und plötzlich kicherte sie.
    »Mein Temperament «, sagte sie.
    »Tut mir leid«, sagte er mit trockener Kehle.
    » Sollte es auch.« Ihr Gesicht erschlaffte wieder, und sie sah missmutig zur Wand. Er dachte, sie würde wieder abschalten, aber stattdessen wuchtete sie sich vom Bett hoch.
    »In den Misery -Büchern müssen Sie solche Ausdrücke nicht benutzen, weil man damals solche Ausdrücke überhaupt nicht
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