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Sie

Titel: Sie
Autoren: Stephen King
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wenn es aufgegessen hat.
    Er wollte nicht darüber nachdenken, weil es schon schlimm genug war, das alles zu erleben. Er wollte nicht darüber nachdenken, weil ihn stets beunruhigende Vorstellungen heimsuchten, wenn er es tat - die Art, wie sie einfach abschaltete, die Art, wie sie ihn stets an Götzenstatuen und Steinbilder gemahnte, und jetzt die Art, wie der gelbe Putzeimer wie ein abstürzender Mond auf sein
Gesicht zugerast war. Wenn er daran dachte, so änderte das an seiner Situation nichts, tatsächlich war es sogar schlimmer, als überhaupt nichts zu denken, aber wenn er sich Annie Wilkes und seine Situation in ihrem Haus vergegenwärtigte, dann drängten sich ihm diese Gedanken unwillkürlich auf und verdrängten alle anderen. Sein Herz begann, zu schnell zu schlagen, größtenteils aufgrund seiner Angst, aber teilweise auch wegen seiner Scham. Er sah immer wieder, wie er die Lippen an diesen gelben Putzeimer presste, er sah das Spülwasser mit dem Seifenfilm und dem Putzlappen, der darin schwamm, das alles sah er, und dennoch trank er davon und zögerte nie auch nur einen Augenblick. Er würde niemals jemandem davon erzählen, sollte er hier je wieder herauskommen, und er vermutete, er würde auch versuchen, sich selbst zu belügen, aber er wusste auch, dass es ihm niemals gelingen würde.
    Doch so elend ihm auch war (sehr elend), er wollte dennoch leben.
    Denk darüber nach, gottverdammt! Jesus Christus, bist du schon so feige geworden, dass du es nicht einmal mehr versuchen kannst?
    Nein - aber fast so feige.
    Dann kam ihm ein seltsamer, zorniger Gedanke: Sie mag das neue Buch nicht, weil sie zu dumm ist, es zu verstehen.
    Der Gedanke war nicht nur seltsam; unter den gegebenen Umständen war es völlig einerlei, was sie von Schnelle Autos hielt. Aber über das nachzudenken, was sie gesagt hatte, war immerhin eine neue Richtung, und auf sie wütend zu sein, war besser, als vor ihr Angst zu haben, und daher konzentrierte er sich mit ziemlichem Eifer auf diese neuen Gedanken.

    Zu dumm? Nein. Zu festgefahren. Nicht nur unwillig, sich zu verändern, sondern allein der Vorstellung einer Veränderung gegenüber ablehnend.
    Ja. Und wenngleich sie verrückt war, unterschied sich ihre Beurteilung seines schriftstellerischen Werks wirklich so sehr von den Hunderttausenden anderen Menschen im ganzen Land - neunzig Prozent davon Frauen -, die es kaum erwarten konnten, die neue fünfhundertseitige Episode aus dem turbulenten Leben des Findelkinds zu erfahren, das sich aufgemacht hatte, einen Edelmann des Reiches zu heiraten? Nein, überhaupt nicht. Sie wollten Misery, Misery, Misery. Jedes Mal, wenn er eine Pause von einem oder zwei Jahren gemacht hatte, um einen der anderen Romane zu schreiben - die er als seine ›ernsthaften‹ Arbeiten betrachtete, und zwar anfangs mit Gewissheit, dann mit Hoffnung und schließlich mit einer Art von grimmiger Verzweiflung -, hatte er eine wahre Flut von Protestbriefen von diesen Frauen erhalten, von denen viele ihrerseits als »Ihr größter Fan« unterschrieben waren. Der Tonfall dieser Briefe variierte von Fassungslosigkeit (irgendwie schmerzte das immer am meisten) über Vorwürfe bis hin zu offener Entrüstung, aber die Aussage war stets dieselbe: Es ist nicht das, was ich erwartet hatte, es ist nicht das, was ich wollte . Bitte schreiben Sie wieder über Misery. Ich möchte wissen, wie es Misery weiter ergeht. Er konnte ein modernes Unter dem Vulkan, Tess von den d’Urbervilles oder Schall und Wahn schreiben; es wäre einerlei. Sie wollten Misery, Misery, Misery.
    Man kann nur schwer folgen … das macht ihn weniger interessant … Und dann die Sprache!

    Wut loderte in ihm empor. Wut über ihre hartnäckige Engstirnigkeit, Wut darüber, dass sie ihn tatsächlich hatte entführen können - dass sie ihn hier als Gefangenen halten und ihn zu der Entscheidung zwingen konnte, schmutziges Wischwasser aus einem Putzeimer zu trinken oder unter den Schmerzen seiner zerschmetterten Beine zu leiden - und dann zu alledem auch noch die Dreistigkeit aufzubringen, das Beste zu kritisieren , das er jemals geschrieben hatte.
    »Scheiß auf dich und deine unanständigen Worte«, sagte er, und mit einem Mal fühlte er sich besser, fühlte sich wieder als er selbst , auch wenn er wusste, dass dieses Rebellieren bemitleidenswert und sinnlos war - sie war im Stall, wo sie ihn nicht hören konnte, und die Flut hatte die Pfähle sicher überspült. Dennoch …
    Er erinnerte sich daran, wie sie
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