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Sie

Titel: Sie
Autoren: Stephen King
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sie vielleicht vorübergehend mit Bourbon betäuben, aber das war alles.
    Er ging zur Bar, sah die Flasche an, dann sah er zum Flur, wo die Druckfahnen und die Gehstöcke lagen. Er blickte die Flasche noch einmal zum Abschied an, dann machte er sich wieder auf den Weg dorthin, wo seine Sachen lagen.

8
    Nachwischen.

9
    Eine halbe Stunde später saß er wieder vor dem leeren Bildschirm und dachte, er musste einfach unersättlich sein, was Bestrafungen anbelangte. Er hatte statt des Drinks eine Aspirin genommen, aber das änderte nichts daran, was nun geschehen würde; er würde fünfzehn Minuten, vielleicht eine halbe Stunde hier sitzen und nichts anderes tun, als den Cursor betrachten, der vor dem dunklen Hintergrund blinkte, dann würde er die Maschine abschalten und sich doch den Drink genehmigen.
    Allerdings …
    Allerdings, als er vom Essen mit Charlie nach Hause ging, hatte er etwas Komisches gesehen, und er hatte einen Einfall gehabt. Nichts Besonderes. Nur einen kleinen Einfall. Schließlich war es nur ein unbedeutender Zwischenfall gewesen. Nur ein Kind, das einen Einkaufswagen die 48ste Straße entlangschob, das war alles, aber in dem Wagen war ein Käfig gewesen, und in dem Käfig ein großes pelziges Tier, das Paul zuerst für eine Katze gehalten hatte. Ein zweiter Blick hatte ihm den breiten weißen Streifen auf dem Rücken der Katze gezeigt.
    »He, Kleiner«, hatte er gesagt. »Ist das ein Skunk?«
    »Ja«, hatte der Junge geantwortet und den Einkaufswagen ein wenig schneller geschoben. In der Stadt blieb man nicht für lange Gespräche mit Fremden stehen, besonders dann nicht, wenn es sich um unheimlich aussehende Typen mit Tränensäcken so groß wie Samsonite-Tragetaschen handelte, die auf metallenen Gehstöcken dahintorkelten. Der Junge bog um die Ecke, und weg war er.

    Paul ging weiter, er hatte ein Taxi nehmen wollen, aber er sollte jeden Tag mindestens eine Meile zu Fuß gehen, und das war seine Meile, und es tat höllisch weh, und um sich von den Schmerzen abzulenken, fragte er sich, woher der Junge gekommen war, woher der Einkaufswagen gekommen war, besonders aber, woher der Skunk gekommen war.
    Er hörte ein Geräusch hinter sich und wandte sich von dem leeren Bildschirm ab und sah Annie in Jeans und ein rotes Holzfällerhemd gekleidet aus der Küche kommen, die Motorsäge in der Hand.
    Er machte die Augen zu, machte sie wieder auf und sah das altbekannte Nichts, und er war plötzlich wütend. Er drehte sich wieder zu dem Textcomputer um und schrieb so schnell, dass er fast die Tasten niederknüppelte:
     
    -1-
     
    Der Junge hörte ein Geräusch im hinteren Teil des Gebäudes, und wenngleich er zunächst an Ratten dachte, bog er dennoch um die Ecke -- es war zu früh, um nach Hause zu gehen, denn die Schule hörte erst in einer Stunde auf, aber er hatte nach dem Mittagessen geschwänzt.
    Es war auch keine Ratte, was er in einem Streifen von Sonnenlicht an einer Wand kauern sah, sondern eine große schwarze Katze mit dem buschigsten Schwanz, den er je gesehen hatte.

10
    Er hielt mit klopfendem Herzen inne.
    Paulie, Kannst du?
    Das war eine Frage, die er nicht zu beantworten wagte. Er beugte sich wieder über die Tastatur, und nach einem Augenblick fing er wieder an zu tippen … aber dieses Mal sanfter.

11
    Es war keine Katze. Eddie Desmond hatte sein ganzes Leben in New York verbracht, aber er war schon im Zoo in der Bronx gewesen, und, Herrgott, es gab schließlich Bilderbücher, oder nicht? Er wusste genau, was das für ein Tier war, auch wenn er nicht die geringste Ahnung hatte, wie dieses Tier in ein verlassenes Mietshaus der 105ten Straße gelangt sein konnte, doch der lange weiße Streifen auf seinem Rücken war ein unübersehbares Erkennungszeichen. Es war ein Skunk.
    Eddie ging langsam darauf zu, seine Füße knirschten auf dem staubigen Boden

12
    Er konnte. Er konnte .
    Und daher tat er, voller Dankbarkeit und voller Schrecken. Das Loch tat sich auf, und Paul sah hindurch auf das, was da war, er merkte nicht, wie seine Finger schneller tippten, er merkte nicht, dass seine schmerzenden Beine zwar in derselben Stadt, aber fünfzig Blocks entfernt waren, er merkte nicht, dass er weinte, während er schrieb.
     
    Lovell, Maine: 23. September 1984 / Bangor, Maine: 7. Oktober 1986: Jetzt ist meine Geschichte erzählt.

Die Originalausgabe
MISERY
erschien bei Viking, New York
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Überarbeitete, vollständige deutsche Taschenbuchausgabe
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