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Sie und Allan

Sie und Allan

Titel: Sie und Allan
Autoren: Henry Rider Haggard
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Angesicht zu Angesicht der Sie-die-befiehlt gegenüber, jetzt unter dem Namen der Sie-der-man-gehorchen-muß , was ja so ziemlich dasselbe bedeutet: ja, Angesicht zu Angesicht mit Ayesha, der Wunderbaren, der Geheimnisvollen, der Wechselhaften, der Überragenden.
    Außerdem füllte die Geschichte viele Lücken meiner eigenen, beschränkten Erfahrungen mit diesem rätselhaften Wesen, das halb göttlich war (obgleich auch, wie ich glaube, auf ihre Art sündig oder zumindest unmoralisch) und doch ganz Frau. Es ist wahr, daß ich sie in einem Licht zeigte, das sie ein wenig anders darstellt als so, wie sie sich mir darstellte, doch war das Substrat ihres Charakters dasselbe, oder das ihrer Charaktere, denn von denen schien sie mehrere in einem einzigen Körper zu vereinen, da sie, wie sie mir einmal selbst sagte, ›nicht Eines, sondern Vieles, und nicht Hier sondern Überall‹ sei.
    Außerdem entdeckte ich die Geschichte von Kallikrates, die ich als reine Lüge abgetan hatte, erfunden, um mich zu verwirren, ausgeschmückt und erläutert – oder vielmehr nicht erläutert, da sie mich vielleicht damit täuschen wollte, denn zu mir hat sie von diesem Kallikrates immer nur äußerst abfällig gesprochen, ihn als einen hübschen, doch absolut geistlosen Mann geschildert, an den sie durch irgendeine Indiskretion, die sie sich in ihrer Jugend hatte zuschulden kommen lassen, in einer unglücklichen Schicksalhaftigkeit verbunden war, und auf dessen Rückkehr sie – zu ihrem Kummer – warten mußte. Und ich fand auch Dinge, von denen ich nichts gewußt hatte, so von dem Feuer des Lebens mit seiner tödlichen Gabe der ewigen Existenz, obwohl es zutrifft, daß sie, wie der Riese Rezu, den Umslopogaas besiegte, von einem ›Kelch des Lebens‹ sprach, von dem sie getrunken hätten, und den auch meine Lippen berührt haben könnten, wenn ich nur ein wenig raffinierter gewesen wäre, das Knie gebeugt und mehr Glauben an sie und an ihre übernatürlichen Fähigkeiten gezeigt hätte.
    Schließlich las ich die Geschichte ihres Endes, und während ich sie las, weinte ich ... – ja, ich gestehe, daß ich geweint habe, obwohl ich sicher bin, daß sie zurückkehren wird. Jetzt endlich begriff ich, warum sie so erschrak und sogar zusammenzusinken schien, als ich ihr, während des letzten Gesprächs, das ich mit ihr führte, durch ihren Sarkasmus bis zur Grenze des Erträglichen gereizt, erklärte, daß das Schicksal für sie, trotz all ihrer Macht, einen seiner schwersten Schläge bereithalten mochte. Irgendeine Vorahnung schien ihr zu sagen, daß diese Worte zwar unbegründet sein mochten, doch mein Mund die Wahrheit sagte, obwohl – und das war das Schlimmste daran – sie nicht wußte, welche Waffe den Streich ausführen würde, oder wann er fallen würde.
    Ich war verblüfft, ich war überwältigt, doch als ich das Buch aus der Hand legte, war ich entschlossen, einmal über Ayesha und meine persönlichen Erlebnisse mit ihr weiterhin absolutes Stillschweigen zu bewahren; und zweitens, daß ich nicht veranlassen würde, mein Manuskript zu vernichten. Ich hatte das Gefühl, kein Recht mehr zu haben, dies zu tun, angesichts dessen, was bereits darüber veröffentlicht worden war. Es soll also dort liegen, um eines Tages zu erscheinen – oder nicht zu erscheinen, wie es vom Schicksal bestimmt sein mag. Ich werde Captain Good sein Buch ohne jeden Kommentar zurückgeben – und mir stillschweigend ein Exemplar kaufen.
     
    The Grange, Yorkshire
    Allan Quatermain

1
     
    Der Talisman
     
     
    Ich glaube, die alten Ägypter waren es – ein sehr weises Volk, wahrscheinlich noch erheblich weiser, als wir es annehmen, denn in der Muße ihrer vielen Jahrhunderte hatten sie Zeit, Hypothesen zu Ende zu denken –, die postulierten, daß jede individuelle Persönlichkeit aus sechs oder sieben Elementen bestünde, obwohl die Bibel uns lediglich drei davon zugesteht, nämlich Körper, Geist und Seele. Der Körper, den ein Mann oder eine Frau trägt, ist, wenn ich ihre Theorie richtig verstehe – was ich, ein ungebildeter Mensch, sicher nicht kann –, nicht mehr als eine Art Sack oder fleischliche Hülle, von der diese verschiedenen Prinzipien zusammengehalten wurden. Oder vielleicht werden sie überhaupt nicht davon zusammengehalten, sondern der Körper ist lediglich ein Haus, sozusagen, in dem sie von Zeit zu Zeit leben, und nur selten alle gleichzeitig, obwohl das eine oder andere von ihnen ständig anwesend sein mag, um das Haus warm und
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