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Sie sehen dich

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Titel: Sie sehen dich
Autoren: H Coben
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retten. Und Jill wusste, dass es Zeit war, ihr zu zeigen, dass auch sie alles für ihre Mutter tat.
    Der Griff des Mannes wurde fester. Jill schnappte nach Luft und sah ihm ins Gesicht. Der Mann sah glücklich aus. Ihr Blick wanderte weiter zu Yasmin. Die sah Jill direkt in die Augen. Es gelang ihr, den Kopf etwas auf die Seite zu legen. Das machte Yasmin während des Unterrichts, wenn sie Jill etwas mitteilen wollte, ohne dass die Lehrer etwas merkten.
    Jill begriff es nicht. Dann starrte Yasmin auf ihre eigene Hand.
    Ratlos folgte Jill ihrem Blick und erkannte, was Yasmin machte.
    Sie hatte aus Zeigefinger und Daumen eine Pistole geformt.

    »Mädchen?«
    Der Mann, der sie am Hals gepackt hatte, drückte fester zu und drehte sie etwas zu sich, so dass sie ihn ansehen mussten.
    »Wenn ihr hier abhaut, bring ich Mommy und Daddy um. Habt ihr verstanden?«
    Beide nickten. Wieder trafen sich ihre Blicke. Yasmin öffnete den Mund. Jill begriff, was sie vorhatte. Der Mann ließ sie los. Jill wartete auf das Ablenkungsmanöver. Es dauerte nicht lange.
    Yasmin schrie, und Jill rannte um ihr Leben. Eigentlich nicht nur um ihr eigenes Leben, sondern um ihrer aller Leben.
    Sie spürte, wie die Finger des Mannes ihre Knöchel berührten, konnte sich aber losreißen. Sie hörte ihn heulen, drehte sich aber nicht um.
    »Jill! Deine Mommy wird sterben, wenn du nicht sofort wieder herkommst.«
    Aber sie hatte keine Wahl. Jill rannte die Treppe hinauf. Sie dachte an die anonyme E-Mail, die sie Mr Novak heute Mittag geschickt hatte:
    Bitte, Sie müssen Ihre Pistole besser verstecken.
    Sie betete, dass er sie nicht gelesen hatte, oder falls doch, dass er noch keine Zeit gehabt hatte, etwas zu tun. Jill stürzte ins Schlafzimmer und zog die Schublade ganz heraus. Sie schüttete den Inhalt auf den Boden.
    Die Pistole war weg.
    Sie verlor den Mut. Sie hörte Schreie von unten. Der Mann konnte sie alle umbringen. Sie fing an, die Sachen herumzuschmeißen, als ihre Hand auf etwas Metallisches stieß.
    Die Pistole.
    »Jill! Deine letzte Chance!«
    Wie ging das noch mit der Sicherung? Mist. Sie wusste es nicht. Aber dann fiel Jill etwas ein.

    Yasmin hatte den Hebel nicht wieder zurückgelegt. Wahrscheinlich war die Pistole noch entsichert.
    Yasmin schrie.
    Jill sprang wieder auf. Sie war noch gar nicht ganz im Erdgeschoss, als sie mit der dünnsten, babyartigsten Stimme, in der sie sprechen konnte, sagte: »Tun Sie bitte meiner Mommy nichts.«
    Sie rannte weiter in den Keller. Sie fragte sich, ob sie genug Kraft hatte, um abzudrücken. Sie dachte, dass sie die Pistole in beide Hände nehmen und beide Zeigefinger nehmen sollte.
    Wie sich herausstellte, reichte ihre Kraft.

    Nash hörte die Sirenen.
    Er sah die Pistole und lächelte. Etwas in ihm wollte zur Seite springen, aber Cassandra schüttelte den Kopf. Und eigentlich wollte er das auch gar nicht. Das Mädchen zögerte. Also trat er einen Schritt näher an sie heran und hob das Messer.
    Als Nash zehn Jahre alt war, hatte er seinen Vater gefragt, was mit den Menschen geschah, wenn sie starben. Sein Vater hatte geantwortet, dass Shakespeare es wohl am besten ausgedrückt hätte, als er den Tod als »das unentdeckte Land, von des Bezirk kein Wandrer wiederkehrt« bezeichnet hatte.
    Anders gesagt: Woher sollen wir das wissen?
    Die erste Kugel traf ihn mitten in die Brust.
    Er taumelte weiter mit erhobenem Messer auf sie zu  – und wartete.
    Nash wusste nicht, wohin die zweite Kugel ihn bringen würde, aber er hoffte, dass es zu Cassandra war.

40
    Mike saß im gleichen Verhörraum wie beim ersten Mal. Aber dieses Mal zusammen mit seinem Sohn.
    FBI-Agent Darryl LeCrue und der stellvertretende U.S.-Staatsanwalt Scott Duncan hatten versucht, die Einzelheiten des Falls in die richtige Reihenfolge zu bringen. Mike wusste, dass alle Beteiligten irgendwo hier im Gebäude waren: Rosemary, Carson, die anderen Gruftis, DJ Huff und vielleicht auch dessen Vater. Wahrscheinlich hatten sie alle getrennt und hofften jetzt darauf, dass sie ein paar Absprachen treffen und dann ein paar Anklageschriften aufsetzen konnten.
    Adam und er waren schon seit Stunden hier. Und bisher hatten sie noch keine einzige Frage beantwortet. Ihre Anwältin Hester Crimstein hatte ihnen Redeverbot erteilt. Im Moment saßen Mike und Adam allein im Verhörraum.
    Mike sah seinen Sohn an, und dann brach ihm fast das Herz, als er zum vierten oder fünften Mal sagte: »Wir schaffen das schon.«
    Adam reagierte nicht mehr auf seine
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