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1765 - Der Schattenprinz

1765 - Der Schattenprinz

Titel: 1765 - Der Schattenprinz
Autoren: Jason Dark
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Ein kurzes Schütteln, dann legte er den Kopf in den Nacken und schaute an der Wand des Turms hoch, der zum Schloss gehörte. Er war recht hoch und aus dicken Steinen erbaut, die auf ihrer Oberfläche tiefe Risse und kleine Vorsprünge hatten.
    Er sah dort oben einen gelblich-roten Lichtschein, der aus einem kleinen Fenster fiel. Er glitt über das Gestein und verlieh ihm einen schwachen Glanz.
    Der Mann, der unten am Turm stand, war zufrieden. Er zeigte es durch ein Nicken. Danach reckte er die Arme hoch. Seine Hände klatschten gegen das Gestein.
    Unter seiner Kleidung am Rücken begann sich etwas zu bewegen. Der Mann zuckte einige Male, dann trat er nah an die Mauer heran, um das zu tun, weshalb er gekommen war. Er wollte an der Außenwand des Turms in die Höhe klettern.
    Seine Finger fanden Halt an den Vorsprüngen, die Füße in den Rissen. Höher und höher kam er und damit seinem Ziel immer näher. Er befand sich auf dem direkten Weg zum Fenster und damit auch zum Licht hin.
    Die Gestalt rutschte nicht einmal ab. Sie gab auch keine verräterischen Geräusche von sich. Kein Ächzen, kein schweres Atmen – nichts.
    Und so kletterte sie weiter. Sie hielt erst an, als sie das Licht erreichte und ihr Gesicht davon erfasst wurde.
    Wie ein übergroßer Käfer klebte sie an der Außenseite des Turms fest. Das graue Haar des Mannes schimmerte hell im Licht. Es fiel über die dichten Augenbrauen und berührte die Pupillen, die eine rötliche Farbe zeigten.
    Er wartete. Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. Nicht grundlos war das Fenster für ihn offen gelassen worden. Man erwartete ihn. Es gab jemanden, der sich auf ihn freute. Auf ihn, der sich einen besonderen Namen gegeben hatte.
    Der Schattenprinz!
    ***
    Die junge Frau mit den langen schwarzen Haaren lag in ihrem Bett und warf sich immer wieder von einer Seite auf die andere. Sie konnte nicht schlafen, aber das wollte sie auch nicht, denn sie wartete auf jemanden, der seinen Besuch angekündigt hatte.
    Es war ihr Herr, ihr Beherrscher. Ihr Galan der Nacht. Er kam nur in der Dunkelheit und holte sich das, was ihn am Leben hielt und ihr so gut tat, auch wenn sie dabei immer schwächer wurde. Aber sie wusste, dass sie irgendwann so weit war wie ihr nächtlicher Besucher, und das stellte alles in den Schatten.
    Sie hieß Dahlia, und sie lebte nicht allein in diesem Schloss. Es gab noch ihre Eltern und einige andere Verwandte. An all das dachte sie nicht, nur an ihren Geliebten. Niemand außer ihr wusste von ihm. Aber die Verwandten schienen etwas zu ahnen. Ihnen war Dahlias Zustand aufgefallen, denn sie war in der letzten Zeit blass und schwach geworden. Das versuchte sie zwar zu verbergen, aber es war nicht zu übersehen.
    Und einen gab es, der sie sogar auf die kleinen Wunden am Hals angesprochen hatte. Ihm hatte sie von Kratzspuren erzählt, und er hatte es auch akzeptiert, allerdings mit einem nachdenklichen Blick.
    Dahlia verbrachte die Tage im Schloss. Da dort genug anderes zu tun war, mit dem sich die Bewohner beschäftigen mussten, ließ man sie in Ruhe, was ihr sehr entgegen kam. Tagsüber war es nicht ihre Welt. Sie mochte die Helligkeit und die Sonne nicht mehr. Sie verdunkelte das Fenster ihres Zimmers und wartete sehnsüchtig auf die Ankunft der Dunkelheit.
    Er kam. Aber er gab nie genau bekannt, in welcher Nacht er wieder unterwegs war. In dieser aber würde er kommen, das wusste sie, deshalb hatte sie auch das größte Fenster in ihrer Schlafkemenate geöffnet, um ihm den nötigen Platz zu schaffen.
    Noch war er nicht da. Ihre Unruhe steigerte sich von Minute zu Minute. Sie blieb auch nicht mehr liegen, sondern setzte sich auf, drehte ihr Gesicht dem offenen Fenster zu, wobei sie ihre Lippen bewegte und etwas flüsterte.
    Es gab Licht. Eine Öllampe verbreitete ihren Schein.
    Wieder setzte sich Dahlia hin. Sie atmete schnell wie jemand, der keine Luft bekam oder schwer damit zu kämpfen hatte. Ein Schweißfilm lag auf ihrem Gesicht, das bleich wie die Scheibe des Mondes war, der sich hin und wieder zeigte, wenn die Wolkendecke aufriss. Im Gegensatz dazu waren ihre Haare rabenschwarz. So wie sie aussah, wurde in dem Märchen immer das Schneewittchen beschrieben.
    Sie wartete.
    Sie lauschte.
    Sie hielt die Hände wie zum Gebet gefaltet. Ihre Augen waren auf die Fensteröffnung gerichtet. Wenn er kam, dann schob er sich durch die Öffnung, und sie würde in seinen Augen das Strahlen sehen, auf das sich die Wartende schon freute.
    Noch kam er nicht.
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