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Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)
Autoren: Madeleine Roux
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Vernunft, dass es etwas gab, worum man kämpfen konnte. Physisch hatte er sich nicht verändert. Da war ein neuer Kratzer auf seiner Wange und vielleicht ein bisschen mehr Grau an den Schläfen, aber er stand da, groß und aufrecht, wie ich mich an ihn erinnerte. Aber in der Art, wie er mich ansah, lag etwas Neues, etwas von ungewohnter Dringlichkeit, von unersättlicher Neugier, das ich noch nie zuvor gesehen hatte oder das ich vielleicht ganz vergessen hatte.
    Und ich fühlte, wie ich instinktiv zurückwich, mich auf die unweigerliche Zurückweisung vorbereitete, die sicher gleich kommen würde. Jetzt würde er jeden Moment auf sie zu sprechen kommen, und das wäre der Beginn einer langen und qualvollen Freundschaft.
    »Wie zur Hölle hast du es geschafft, hierher durchzukommen?«, fragte ich.
    »Im LKW , im Auto, wie wir gerade konnten«, antwortete er und senkte den Limonadenbecher. Mit unruhigem Blick starrte er auf den Boden das Bechers. »Es hat mir so leid um deinen Freund getan, als ich davon las.«
    »Ja. Ihm hätte es hier gefallen.« Das war das Einzige, was mir dazu einfiel. Ich spürte, wie sich ein Klumpen in meiner Kehle bildete, und sah zu Boden, starrte auf meine Füße. Ich wollte nicht über Julian reden.
    »Und Lydia?«, fragte ich schließlich.
    Ich hatte sie bis jetzt noch nicht gesehen, weder bei Ned und den Kindern noch schmollend im Hintergrund. Merkwürdigerweise fehlte auch Finn. In der Arena war er der rotschopfige Schatten von Collin gewesen. Er marschierte mit seinem Gewehr und in düsterem Gemütszustand immer irgendwo im Hintergrund herum. Es war schwer, nach so vielen Wochen etwas anderes als das Schlimmste zu erwarten. Ich konnte nur ahnen, wie Collin über mich dachte oder darüber, was ich über sie, über ihn gesagt hatte.
    »Gut«, sagte Collin und blickte mich forschend an. »Es geht ihr gut … ich meine, das letzte Mal, als ich sie sah, ging es ihr ganz gut … soweit es einem gut gehen kann, denke ich, in Anbetracht der Zeiten.«
    »Okay«, sagte ich nach einem zweifellos fehlgeschlagenen Versuch, meine Neugier zu tarnen.
    »Und du?«, fragte er. »Du …«
    »Gut.«
    »Gut!«
    »Es ist gut … ich meine, es ist schön , dich zu sehen«, sagte ich und schob die Hände in meine Gesäßtaschen. Meine Wangen prickelten vor Wärme und wurden heiß, als ich im Geiste all die Beleidigungen Revue passieren ließ, mit denen ich Lydia in meinem Blog bedacht hatte. Und die unzähligen Male, in denen ich hirnverbrannte Eseleien über Collin verzapft hatte. Und Odysseus , oh, Himmel, Odysseus … Also, es gibt Verlegenheit, das Gefühl, dass man im Erdboden versinken möchte, und es gibt regelrechte Treibsand-Gefühle, Ich-wünschte-ich-wäre-tot-Anwandlungen. Ich hatte plötzlich einen sehr schweren Fall von Letzterem.
    »Tja, wow, du bist hier, das ist … ich bin froh. Ich bin froh, dass wir alle hier sind, zusammen«, sagte ich und tigerte dabei auf und ab.
    »Ich auch.«
    »Himmel, Collin! Wirst du es mir jetzt sagen, oder willst du mich unbedingt foltern?«
    Er lächelte mit fast kindlicher Süße, und ich wusste, er hatte darauf gewartet, dass mich meine Neugier endlich überwältigte. Es war angenehm, ihn ohne seinen Kampfanzug zu sehen. In Zivilkleidung sah er mehr nach einem Professor aus, einem Lehrer, einem normalen Mann und weniger wie ein Soldat. Schließlich holte er tief Luft und begann, langsam zu sprechen.
    »Man könnte sagen, es ist kompliziert, aber ich denke eigentlich nicht, dass es das ist«, sagte er und rieb sich mit dem Handballen das Haar. »Sie ist in Rockford geblieben und Finn auch. Es war ihre Entscheidung, und ich … ich bin einfach froh, dass sie glücklich und in Sicherheit sind.«
    »Du meinst, sie – Finn und Lydia – sind zusammen? So richtig zusammen? «
    Ich konnte fühlen, wie das Frühstück, das ich nicht gehabt hatte, sich in meinem Magen zu drehen begann.
    »Ja, genau.« Er kicherte. »Sie war so freundlich, mich wissen zu lassen, dass … tja, dass sich ihre Gefühle geändert hätten. Ich hätte es kommen sehen müssen, wirklich, aber als es geschah, war ich ein bisschen verwirrt«, sagte er und schlug sich müßig den Hammerkopf in die Hand. Seine lächelnden Augen glühten in dem kühlen, gedämpften Sonnenschein.
    »Das ist verrückt. Ich meine, das ist unglaublich, Collin. Es tut mir so leid«, stammelte ich in dem Wissen, dass Mitgefühl meine Pflicht war, meine absolut erste Pflicht als Freund. Ich wollte mir den Freudentanz für
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