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Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)
Autoren: Madeleine Roux
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keine Erwartungen mehr, nur Zielgerichtetheit, Konzentration, das wilde, kontrollierte Schwingen meiner Axt. Es kommt mir vor wie ein Zen-Zustand – der Geist entleert sich einfach, bis nur noch ein Ziel übrig bleibt: zuhacken, enthaupten, zuhacken, durchkommen, den Pfad freihacken.
    Die Chancen, so scheint es, stehen eher gegen uns.
    Drüben auf der anderen Seite der Straße kriecht die Limousine dahin, ein kleiner Farbklecks vor dem wurmgrauen Horizont. Beängstigend zur Seite geneigt, versucht sie, so nah wie möglich an der Kante zu fahren, und kippt dabei fast in den Graben. Ich denke an die vielen Male, die wir für diese Karre unser Leben riskiert haben, nur um Benzin zu kriegen, irgendwo genug für den nächsten Kilometer abzusaugen.
    Wahnsinn, was wir für unsere Freunde tun.
    Die Barrikade rückt näher, und ich fühle die Übelkeit erregende, drückende Hitze, die so viele aneinandergedrängte Verwesungsprozesse erzeugen. Eine verdorrte Hand greift in Julians Armschlinge. Blitzschnell, ohne nachzudenken, ziehe ich den Knoten auf. Die Schlinge geht auf, Julian zieht seinen Arm weg, und wir rennen weiter. Ich kann sein Keuchen hören, die kleinen Ächzer zwischen den Atemzügen, Signale dafür, dass jeder Schritt schmerzt, jeder Meter beinahe tötet …
    »Wir sind fast da!«, rufe ich. »Wir schaffen es!«
    »Allison, ich kann nicht mehr, mein Bein …«, japst er. Ich packe ihn am gesunden Arm und ziehe ihn weiter. Die eingestürzte Brücke ragt dicht vor uns in die Höhe wie ein trojanisches Bollwerk. Flammen züngeln in der Dunkelheit, der Asphalt zeigt lange, zackige Risse. Auf der linken Seite befindet sich ein Damm, der zur Oberkante der Brücke aufragt. Er sieht zu steil aus für die ungeschickten Füße der Untoten und auch fast zu steil für die Füße der Lebenden. Aber ich sehe hier und da Stützen, herausragende Eisen- und Betonstreben. Vor uns erhebt sich ein fast senkrechter Wall aus Erde bis weit über unsere Köpfe, als wäre die sanfte Linie eines Hügels von der fallenden Brücke abgeschnitten worden.
    »Wir kommen da hoch!«, rufe ich. »Wir sind nah dran!«
    Der Damm ist glitschig vom Matsch des Erdbodens, den der Regen herunterspült. Braune Sturzbäche rauschen den Hang hinab. Die Feuer auf der Brückenkante erlöschen im Regen, rußiger Pechgeruch erfüllt die Luft, überdeckt fast den Gestank der Untoten.
    »Du zuerst! Ich warte!«, rufe ich, der Regen trommelt mir auf die Stirn, tropft mir in die Augen. Ich freue mich nicht darauf, diesen Matschberg zu besteigen, aber es ist der einzige Weg hinauf.
    »Nein!«
    »Los, geh jetzt, ich habe die Axt!«
    Ich helfe Julian auf den ersten Tritt, ein Stück Beton, etwa einen halben Meter über dem Boden. Mit dem gebrochenen Arm, der nutzlos an seiner Seite baumelt, fällt ihm das Klettern schwer. Mit dem intakten Arm muss er sich bis zum nächsten Stück Beton hochziehen. Ich bleibe unten und schüttle mir Regen und Haare aus den Augen, während ich beobachte, wie die Untoten uns einkreisen. Mit der ganzen Axtschwingerei habe ich uns nur ein paar Zentimeter Raum verschafft.
    »Allison, los, du musst klettern!«
    Er hat recht. Wenn ich nicht jetzt starte, gibt es kein Erklimmen der Brücke mehr. Jetzt, wo die Brände verlöschen, kommen wir vielleicht rüber und treffen Renny und Ted wieder … Aber vielleicht habe ich auch schon zu lange gewartet. Sobald ich ihnen den Rücken zukehre, schließt sich sofort die letzte Lücke …
    »Komm schon! Jetzt!«
    Wenn ich mich umdrehe, wenn ich ihnen auch nur für eine Sekunde den Rücken zudrehe …
    »Gib mir die Axt!«, brüllt er, seine Finger hängen über meinem Kopf.
    »Ich kann nicht!«
    »Gib sie mir, los! Komm schon!«
    Ich presse mich an die glitschige Wand und stoße den Axtstiel in seine Richtung. Als er ihn nimmt, fühlt es sich an, als hätte ich eines meiner Glieder verloren. Meine Füße finden den ersten Widerstand, und ich drücke mich nach oben. Ich versuche, nahe am Damm zu bleiben, nicht mit Armen und Beinen herumzufuchteln. Es hilft nicht viel. Ich fühle, wie Hände an meinen Schuhen kratzen, an meinen Knöcheln. Über mir hält sich Julian an einem Betonbrocken fest und hackt mit seinem verletzten Arm mit der Axt herum, die Klinge blitzt dicht an meiner Schulter vorbei. Ich kann sehen, wie schmerzhaft das ist, ich sehe, wie er mit zusammengebissenen Zähnen gegen das Unbehagen und den Schmerz anknurrt, während er meinen Rücken verteidigt.
    »Scheiße!«
    Die Betonbrocken
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