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Sie haben mich verkauft

Sie haben mich verkauft

Titel: Sie haben mich verkauft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Kalemi
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hatte Angst vor dem, was er wohl sagen mochte, wenn ich vor seiner Tür auftauchte, aber ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen.
    »Oxana!«, rief er, lächelte, umarmte mich und drückte mich fest. »Wo hast du gesteckt? Komm rein, komm doch rein. Wie schön, dich endlich zu sehen.«
    Erleichtert betrat ich unsere alte Wohnung. Es war so schön, wieder hier zu sein. Es fühlte sich richtig wie zu Hause an. Ich erklärte Papa, was passiert war: dass ich Sergej kennengelernt hatte und heiraten wollte, aber dass ich in der Zwischenzeit nicht bei Mama bleiben konnte. Er musterte meinen Babybauch.
    »Ich nehme an, das da ist der Grund, weshalb du heiraten musst«, sagte er.
    »Na ja ... ich ...« Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen.
    »Aber darüber wollen wir uns jetzt keine Sorgen machen«, sagte er freundlich. »Du bist herzlich willkommen, du kannst bleiben, solange du willst. Und dein Verlobter kann auch kommen, wenn er will. Es ist Platz genug, und ich bin es leid, ganz allein zu sein. Ein bisschen Gesellschaft wäre eine nette Abwechslung.«
    »Oh, danke, Papa!«, rief ich und warf ihm die Arme um den Hals. Endlich wendete sich für uns alles zum Guten.
    Still und leise wuchs das Glück in mir zusammen mit meinem Baby.
     
    Kurz nach meinem sechzehnten Geburtstag heirateten wir. Ich hatte eine weiße Blume im Haar und trug eine blaue Bluse mit dazu passendem Rock. Sergej und ich schworen uns Treue und tauschten billige Metallringe aus, und dann waren wir Mann und Frau. Mir war klar, dass manche Leute glaubten, eine Trauung ohne Hochzeitskleid und ohne goldene Ringe bringe Pech, aber ich redete mir ein, sie hätten unrecht.
    Sergej und mein Vater schienen sich gut zu verstehen, und so lebten wir alle ganz zufrieden miteinander und warteten auf die Geburt des Kindes. Sergej fand Arbeit in einer metallverarbeitenden Fabrik, und ich war glücklich, weil wir so für unser eigenes Haus sparen konnten. Aber es brachen harte Zeiten an, als die Ukraine nach dem Zusammenfall der Sowjetunion unabhängig wurde, und oft kam er ohne Lohn nach Hause. Das traf nicht nur ihn, und Wut lag in der Luft, als die Preise in die Höhe schossen und es mit Stromsperren und Lebensmittelknappheit schlimmer wurde. Doch ich gehörte immer noch zu den Glücklichen, die Butter, Eier und Fleisch hatten, sooft mein Vater etwas bekommen konnte, und so wurde ich allmählich dick von der Schwangerschaft und dem guten Essen.
    Ich hatte keine Ahnung, was mit mir passierte, als am 31. Mai 1992 meine Fruchtblase platzte. Aber Papa wusste Bescheid, und er brachte mich sofort ins Krankenhaus. Die Niederkunft war schwierig und schmerzhaft, aber auch kurz, und mein wunderschöner Sohn Alexander – oder Sascha, wie wir ihn nannten – kam rasch auf die Welt. Als sie ihn mir in die Arme legten, zitterte ich.
    »Gucken Sie nicht so sorgenvoll«, sagte eine Schwester zu mir, als sie die Tränen in meinem Gesicht sah. »Alles in Ordnung mit ihm.«
    Aber ich weinte nicht vor Angst. Ich war glücklich. In dem Moment, als mein Sohn auf die Welt kam, erlebte ich meine Wiedergeburt. Der Tag am Strand lag jetzt weit hinter mir. Ich war ein anderer Mensch, eine Mutter, und mein Leben konnte von Neuem beginnen.
     
    Als wir nach Hause kamen, verbrachte ich viele Stunden damit, Sascha beim Schlafen zuzusehen. Er sah so friedlich aus – seine Haut hatte die Farbe von Milch, seine Wangen waren wie Pfirsiche –, und er war so vollkommen, dass ich fast Angst davor hatte, ihn zu berühren. Was, wenn ich ihn nun fallen ließ? Aber Papa zeigte mir alles, wenn ich Hilfe brauchte.
    »Also guck«, sagte er, als ich zum ersten Mal versuchte, den Jungen zu baden, und er mir immer wieder aus den Armen rutschte. »Schau zu, so macht man das.«
    Es gab so viel Neues, und manchmal fragte ich mich, ob ich das wohl je alles begreifen würde. Aber allmählich fand ich heraus, wie ich Saschas Bauch massieren musste, wenn er schrie, oder wie ich seinen Kopf streicheln musste, damit er einschlief. Das Muttersein war in so vieler Hinsicht wunderschön für mich, und für jemand anderen zu leben erfüllte mich mit innerer Wärme. Die Vergangenheit schien inzwischen so weit entfernt. Ich hatte neues Leben in die Welt gesetzt, einen anderen Menschen, der mein Blut tragen würde, wenn es mich einmal nicht mehr gab.
    Es war allerdings nicht einfach, Sascha war ein schwieriges Baby. Er schlief nachts kaum, schrie nur und schrie, bis der Lärm meinen Kopf ganz ausfüllte und sich wie

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